Wo die Sterne uns sehen

Das Hörbuchcover von "Wo die Sterne uns sehen"
Bild von Argon Verlag

Der Inhalt

Die Studentin Willa hat eigentlich genug zu tun: Sie muss schauen, wie sie ihr Studium finanziert. Das Bafög wurde gestrichen und auf die Unterstützung ihrer Eltern muss sie gar nicht erst hoffen. Als sie dann im Gemeindezentrum, in dem sie halbtags arbeitet, auf Elias trifft, der eine Rollstuhlbasketballmannschaft trainiert, findet sie ihn auf Anhieb interessant. Nach und nach muss sie sich eingestehen, dass sie Zeit mit ihm verbringen und mehr über ihn erfahren möchte. Aber ganz ungefährlich ist es für sie nicht. Denn Leute kennenlernen bedeutet auch Nähe und sich zeigen.

Justine Pust hat mit Wo die Sterne uns sehen keinen typischen New Adult Liebesroman geschrieben. In dem Auftakt der Skyline-Reihe stehen vor allem schwierige Themen im Vordergrund: Es geht unter anderem um Depression und selbstverletzendem Verhalten, sowie die Frage wie man mit Lebenskrisen umgeht. Ist es wirklich eine gute Idee, sich Leuten anzuvertrauen? Oder ist es sinnvoller allein durch eine Krise zu gehen?

Ich bin kein Fan von New Adult Liebesromanen. Oft steht von Anfang an fest, wie die Handlung endet. Nur der Weg dorthin ist noch unklar. Hier scheint es zu Beginn der Handlung ähnlich zu sein, was ich aber insofern sinnvoll finde, weil Hörende gleich wissen, worauf sie sich bei der Handlung einlassen.

Warum ich Wo die Sterne uns sehen dennoch hören wollte? Justine Pust lässt hier zwei Figuren aufeinandertreffen, die eine psychische bzw. körperliche Behinderung haben. Normalerweise kenne ich es von Romanen so, dass entweder psychische oder körperliche Behinderungen thematisiert werden. Mich interessierte sehr, wie sie sich mit den Erkrankungen auseinandersetzt und wie die Handlung aussieht, die daneben besteht.

Justine Pust hat hier eine tolle Mischung in der Handlung geschaffen: Sie klärt einerseits über wichtige Klischees und Hilfesysteme auf, sorgt aber andererseits auch dafür, dass vieles alltäglich wirkt und der Fokus der Handlung nicht primär auf dem Thema Behinderung liegt.

Toll finde ich, dass das typische New Adult Setting nach Deutschland geholt wurde. Wir befinden uns hier nicht in irgendeiner schönen Stadt am Meer, sondern in Frankfurt, der Stadt, die Buchmenschen vor allem aufgrund der Frankfurter Buchmesse kennen und vielleicht auch lieben. Willa und Elias studieren Soziale Arbeit, ein wichtiges Studienfach, aber nicht so bekannt oder gesellschaftlich angesehen wie die klassischen Studiengänge wie beispielsweise Medizin, Psychologie oder BWL. Schön fand ich, dass Justine Pust durch das Studienfach ihrer Hauptfiguren auf wichtige Themen aufmerksam machen konnte und herausgearbeitet hat, dass Soziale Arbeit mehr ist als Menschen in schwierigen Situationen zu helfen.

Außerdem haben es mir die Handlungsorte angetan: Da wäre zum einen das Frankfurter Gemeindezentrum, in dem unsere Figuren viel Zeit verbringen. Das Gemeindezentrum ist ein Ort der Begegnung für Menschen, egal welcher Herkunft, oder welchen Alters. Es gibt ein umfangreiches Angebot, das einlädt, sich dort aufzuhalten. Oft habe ich mir gewünscht, dass es ein ähnliches Angebot in meiner Region gibt. Gern hätte ich einmal im Gemeindezentrum vorbeigeschaut.

Zum anderen gibt es da noch Willas WG in der sie mit ihren Freundinnen lebt. Es handelt sich nicht um eine Zweckgemeinschaft, in der man sich gelegentlich in der Küche oder zufällig auf dem Flur trifft. Die Freundinnen gestalten ihren Alltag miteinander, machen gemeinsame Film-, Serien-, oder Leseabende oder gehen auch mal gemeinsam aus. Justine Pust zeigt hier, wie eine moderne Heimat außerhalb der Familie aussehen kann.

Selbstverständlich darf die Liebe in Wo die Sterne uns sehen auch nicht fehlen. Schön fand ich, dass Justine Pust hier nicht das Klischee des Figuren müssen sich nur verlieben dann wird das alles schon wieder-Prinzips erfüllt hat, sondern die Liebesgeschichte leise und auch mit einem offenem Ende erzählt. Dadurch wirkt die Liebesgeschichte für mich realistisch und nicht konstruiert.

Kurzum: Der Inhalt hat mir sehr gut gefallen. Justine Pust räumt nicht nur mit den gängigen Klischees im Liebesroman auf, sondern setzt sich auch detailliert mit den Figuren und ihren Konflikten auseinander.

Die Figuren

Mit Willa und Elias hat Justine Pust zwei Hauptfiguren geschaffen, die nicht unterschiedlicher sein könnten:

Willa steht dem Leben misstrauisch gegenüber. Sie scheint beinahe überall Gefahr zu wittern und lässt nur wenige Menschen wirklich an sich heran. Schließlich fragt sie sich immer wieder, wer denn schon eine Person, wie sie mögen oder sich für sie interessieren kann. Schließlich ist sie niemand Besonderes und ganz bestimmt keine Person, die es wert ist, geliebt zu werden. Außerdem bedeutet Nähe auch, Gefühle zulassen zu müssen und das Risiko einzugehen, verletzt zu werden. Wer möchte das schon? Nach außen hin versucht Willa stark zu sein und allen zu signalisieren, dass sie ihr Leben voll im Griff hat. Doch nach und nach gerät ihr Leben außer Kontrolle.

Justine Pust arbeitet den Strudel in den Willa hineingezogen wird, sehr gut heraus. Was mir hier besonders gut gefällt ist, dass sie nicht ausschließlich Willas Krise beschreibt, sondern auch herausarbeitet, welche Lösungsstrategien Willa zur Verfügung stehen. So lernen Menschen, die vielleicht selbst in einer Krise stecken, nicht nur eine Figur kennen, die möglicherweise ähnliche Erfahrungen macht, wie sie selbst, sondern sie bekommen auch Optionen aufgezeigt, die ihnen während einer Krise helfen können.

Elias Leben ändert sich gleich in den ersten Minuten des Hörbuches. Zwei Jahre nach seinem Unfall hat sich sein Leben zwar von Grund auf geändert, dennoch steht er wieder mitten im Leben und hat die Offenheit gegenüber den Menschen und Situationen, die ihm im Alltag begegnen, nicht verloren. Deshalb hat er auch keine Mühe auf Willa zuzugehen. Aber Elias merkt, dass ihm oft die Worte fehlen. Er wünscht sich das ausprechen zu können, was in ihm vorgeht.

Justine Pust zeigt hier, wie sich die beiden gegenseitig weiterbringen können, aber ohne, dass es konstruiert wirkt. Damit räumt sie wieder mit einem Klischee in Bezug auf Behinderung auf. Nämlich dem, dass Menschen mit Behinderung auch etwas geben können.

Zudem lernen wir Willas und Elias Umfeld kennen, die Willa und Elias nicht nur bestärken, sondern auch dafür sorgen, dass sie sich mit Themen auseinandersetzen, die ihnen nicht immer leicht fallen. Justine Pust reduziert die Nebenfiguren aber damit nicht nur auf diese Funktion. Es wurde deutlich, dass die Nebenfiguren auch eine eigene Geschichte haben, über die ich hier und da gern mehr gewusst hätte. Ihr ahnt es aber schon: Es handelt sich hier um einen Reihenauftakt und ich bin mir fast sicher, dass die Nebenfiguren auch in den Folgebänden eine größere Rolle spielen werden.

Die Hörbuchgestaltung

Das Hörbuch wurde ungekürzt und ausschließlich als Download im Argon Verlag produziert. Etwas schade finde ich, dass es bei einer reinen Download Ausgabe geblieben ist. Dennoch werde ich hierfür keine Punkte abziehen, da dieses Genre vor allem im Download gut funktioniert. Ich habe aber die leise und inzwischen wahrscheinlich auch unrealistische Hoffnung, dass es vielleicht einen Hörbuch Schuber mit allen Bänden geben könnte, wenn alle Teile erschienen sind.

Der Reihenauftakt wird von Regine Lange, die hier in der Rolle von Willa zu hören ist und Louis Friedemann Thiele gelesen, der für uns die Perspektive von Elias liest. Beide Personen haben mich durch ihre hellen Stimmfarben überzeugt, was dafür sorgt, dass sie sehr gut zu den jungen Hauptfiguren passen und sich stimmlich auch sehr gut ergänzen.

Regine Lange arbeitet Willas zwei Seiten gut heraus. Das eine ist die Willa, die funktioniert. Die ruhig und konzentriert wirkt. Das andere ist die Willa, die immer wieder kurz davor ist, zusammenzubrechen, aber es nicht schafft, sich jemandem anzuvertrauen. Diesen Kontrast und auch die Entwicklung die Willa als Figur durchlebt, fasst Regine Lange sehr gut in Worte.

Louis Friedemann Thiele arbeitet zum einen Elias offene Art, aber zum anderen auch seine nachdenkliche Seite heraus. Er macht sich viele Gedanken darüber, was im Leben wirklich wichtig ist und vor allem, wie er es schaffen kann, seine Gefühle in Worte zu fassen.

Durch Regine Langes und Louis Friedemann Thieles Lesegeschwindigkeit haben es die beiden geschafft, die Dynamik der Handlung gut aufzufangen und in Worte fassen zu können. Obwohl der Inhalt nicht ganz einfach ist, hat es mir viel Spaß gemacht den beiden SprecherInnen zuzuhören.

Der Schreibstil

Justine Pust hat mich mit ihrem Schreibstil überzeugt. Sie erzählt hier nicht eine oberflächliche Geschichte mit viel Drama, sondern arbeitet die verschiedenen Perspektiven der Konflikte gekonnt heraus und zwar so, dass es auch Hoffnung gibt und es nicht darum geht, schwierige Lebenssituationen auszukosten.

Neben ihrer Darstellung der Figuren haben mir auch Justine Pusts Beschreibungen der Handlungsorte gefallen. Sie zeigt zum einen, dass Orte, die uns im Alltag begegnen, Wohlfühlorte sein können und sorgt zum anderen auch für neue Lebensentwürfe, weil sie von Orten erzählt, an denen Begegnung und auch ein Zuhause geschaffen werden können.

Gut gefallen haben mir ebenfalls die Dialoge. Justine Pust baut hier Konflikte langsam auf, führt sie zu einem Höhepunkt und löst sie gekonnt wieder auf, aber ohne, dass es zu schnell oder zu langsam geht.

Gesamteindruck

Ich war mir nicht sicher, ob ich Wo die Sterne uns sehen wirklich hören will. Ich bin froh, dass ich mich für das Hörbuch entschieden habe. Justine Pust hat mich mit der Handlung und ihren vielschichtigen Figuren positiv überrascht und mir gezeigt, dass New Adult mehr sein kann, als eine oft erzählte Liebesgeschichte.

Hinzu kommt auch dass die Mischung aus spannender Handlung mit vielschichtigen Hauptfiguren, einem tollen Schreibstil und einer schönen Lesung dafür gesorgt hat, dass ich das Hörbuch kaum unterbrechen konnte, weil ich unbedingt wissen wollte, wie es weitergeht.

Mein Fazit: Ein Hörbuch, das ich euch definitiv weiterempfehlen kann.

Wie schon erwähnt handelt es sich hier um einen Reihenauftakt. Der zweite Band Wo der Regen uns berührt, der die Geschichte von Willas Freundin Ada und Elias bestem Freund Dietz erzählt, erscheint im Juli 2024 im Argon Verlag.

Lieblingszitat

“Vielleicht musst du erst dich selbst sehen, damit du auch die anderen Sterne sehen kannst.”
(“Wo die Sterne uns sehen” von Justine Pust Track 106)

“Ich glaube es gibt Momente, in denen wir Menschen verlieren, weil niemand da ist, der eine Hand nach ihnen ausstreckt und ich hoffe, wenn ich jemals so am Boden bin, wird mir jemand seine geben.”
(“Wo die Sterne uns sehen” von Justine Pust Track 116).

“Du kannst die Zeit nicht beeinflussen, nur was du mit ihr machst.”
(“Wo die Sterne uns sehen” von Justine Pust, Track 154).

Infos zum Hörbuch

Wo die Sterne uns sehen 
Geschrieben von: Justine Pust
Gelesen von: Regine Lange und Louis Friedemann Thiele
Bewertung: 5 von 5 Herzen

Bei meiner Lieblingsbuchhandlung bestellen.

Hier findet ihr mehr Infos über Justine Pust.

Hier findet ihr mehr Infos über Regine Lange.

Hier findet ihr mehr Infos über Louis Friedemann Thiele.

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Dieses Hörbuch wurde mir kostenlos als Rezensionsexemplar vom Argon Verlag zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!

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