Hilfe anbieten aber wie? Vom richtigen ansprechen und weiteren Do’s und Don’ts

Zwei Personen, die als Silhouetten dargestellt sind, besteigen einen Berg und helfen sich dabei gegenseitig.
Bild von: Emma Zecka

Hallo zusammen,

vor ein paar Wochen habe ich euch gefragt, über welche Themen ich im März schreiben soll. Einige von euch haben sich einen weiteren Beitrag aus der Rubrik Ge(h)fordert gewünscht. Diesmal richtet sich der Beitrag vor allem an Menschen ohne Behinderung. Und zwar geht es um das Thema: Hilfe anbieten, aber wie?

Vielen von euch ist diese Situation vielleicht schon im Alltag begegnet: Ihr seht einen Menschen mit Behinderung im Straßenverkehr. Mit viel Glück habt ihr bereits mit Menschen mit Behinderung zu tun und wisst, wie ihr reagieren könnt.

In den meisten Fällen ist es aber so, dass viele Menschen verunsichert sind. Ihr fragt euch vielleicht: Sollt ihr Hilfe anbieten? Wenn ja, wie, ohne laut platschend ins nächste Fettnäpfchen zu fallen? Oder könnte das Hilfsangebot im schlimmsten Fall auch als Angriff verstanden werden?

In diesem Artikel erzähle ich euch von ein paar Punkten, die für das Thema Hilfe anbieten wichtig sind.

Zuerst ist es aber wichtig zu betonen, dass es sich hierbei um ein Thema handelt, bei dem es nicht die allumfassende Antwort gibt.

Hilfe anbieten hängt vor allem mit der Behinderung und der gegebenen Situation zusammen. Um welche Art von Hilfe handelt es sich? Welche Erfahrungen haben Menschen mit Behinderung mit der Kann-ich-helfen?-Frage bereits gemacht? Hören sie die Frage alle fünf Minuten und rollen genervt mit den Augen? Oder sind sie dankbar für Unterstützung?

Würdet ihr zehn Menschen mit Behinderungen fragen, wie sie zu dem Thema stehen, hättet ihr danach wahrscheinlich zehn unterschiedliche Antworten. Dennoch finde ich, dass es ein paar Dinge gibt, die sich die Mehrzahl der Menschen wünschen. Und diese Punkte werde ich hier vorstellen:

Ich beziehe mich zuerst auf einmalige Hilfsangebote und schreibe später noch ein paar Zeilen über das regelmäßige Hilfe anbieten.

In meinen Beispielen konzentriere ich mich hauptsächlich auf Sehbehinderung oder Blindheit, weil ich mich hier aufgrund meiner eigenen Sehbehinderung (siehe am Ende des Artikels) einfach am besten auskenne.
Wenn ihr eine andere Behinderung habt und der Meinung seid, dass Aspekte in diesem Artikel fehlen, dann schreibt sie gerne in die Kommentare. Ich freue mich über den Austausch.

Situatives Hilfsangebot

Ich, Du, er/sie/es – Die Sache mit dem richtigen Ansprechen

Wenn ihr euch nicht sicher seid, wie alt euer Gegenüber ist, siezt es. Schließlich wollt ihr ja auch nicht von aller Welt geduzt werden, oder?

Mir passiert es häufiger, dass ich in Läden automatisch geduzt werde. Dort lasse ich es meistens über mich ergehen, da es nicht immer primär etwas mit meiner Behinderung zu tun haben muss. Dennoch ist für mich die richtige Anrede auch eine Sache von Respekt. Das Du benutze ich bei Menschen, die ich gut kenne, bei Freunden oder bei Kindern. Diese Anrede bedeutet für mich also Nähe oder Beziehung: Und diese möchte ich nicht zu jedem Menschen haben. Ihr doch auch nicht, oder?

Ungefragt berühren oder mitschleifen! Ein No Go!

Viele blinde Freunde von mir, erzählen mir immer wieder, dass sie im Straßenverkehr am Arm berührt oder zum Teil auch ungefragt ein Stück mitgezerrt werden, weil die Menschen glauben zu wissen, wohin die Person möchte.
Überwiegend liegt das eben daran, dass der Blickkontakt zum Gegenüber fehlt und einem potentiellen helfenden Person oft die Worte fehlen, um zu erfragen ob Hilfe benötigt wird.

Wenn die Wörter flüchten: Nehmt euch die Zeit, die Worte zu finden oder kommuniziert, dass ihr helfen wollt, aber noch nicht wisst, wie ihr die Situation am besten beschreiben könnt. Vielleicht kann euch ja euer Gegenüber helfen, die flüchtenden Wörter einzufangen.

Das Problem beim mitzerren:

Ihr seht, dass jemand scheinbar orientierungslos in der Gegend herum irrt. Also packt ihr seinen Arm – oder den Langstock – und nehmt ihn ein Stück mit, mit der Idee die Person sicher an ihr Ziel zu bringen.

Wenn ihr ehrlich mit euch seid, wird euch irgendwann auffallen, dass ihr ja gar nicht wissen könnt, wohin die scheinbar hilflose Person eigentlich möchte. Wenn ihr sie dann urplötzlich wieder loslasst, euch schnell verkrümelt, ist das Problem aber bereits geschaffen: Dann kann es euch nämlich blühen, dass die Person die Orientierung erst Recht verloren hat und jetzt wirklich auf Hilfe angewiesen ist.

Auch hier gilt: Ansprechen hilft! Fragt nach, bevor ihr die Person ungefragt berührt oder einfach mitschleift. Und bitte schnappt euch nicht einfach so den Langstock um die Person mitzuziehen. Langstöcke helfen nämlich im Idealfall bei der Orientierung oder bei der Fortbewegung. Die blinde Person weiß, wie sie den Langstock am besten nutzen kann (auch wenn es manchmal sehr abenteuerlich aussieht).

Beispiel: Früher war ich noch ziemlich oft mit der Bahn unterwegs. Und Bahnfahrende ahnen jetzt wahrscheinlich was kommt: Züge fahren auf einem anderen Gleis ein oder es gibt den Albtraum eines jeden Menschen: Der Schienenersatzverkehr. Um diesen zu erreichen, findet oft erst einmal eine unfreiwillige Erkundung des Bahnhofes statt. Viele Menschen irren orientierungslos durch die Gegend. In solchen Fällen bin ich immer sehr dankbar wenn mir Hilfe angeboten wird.

Normalerweise handhabe ich es gerne so, dass ich Menschen, die mir Wege zeigen, vorlaufen lasse. Bei größeren Menschenmengen ist das aber eine denkbar schlechte Idee, weil ich die Person, die mir hilft, nämlich nicht wiederfinden werde. Deswegen lasse ich mich in solchen Fällen gerne von ihnen führen. (Allerdings nicht am Langstock 🙂 ). Hier wird das aber entweder von meinem Gegenüber vorgeschlagen oder ich erfrage, ob das für mein Gegenüber in Ordnung ist. Ich glaube, ich habe bisher keinen Fall erlebt, in dem es fremden Personen unangenehm war.

Nein heißt nein

Wie in vielen Bereichen gilt auch hier: Nein, heißt nein. Wenn ihr jemandem eure Hilfe anbietet und die Person – hoffentlich – dankend ablehnt, belasst es dabei.

Was aber tun, wenn euer Gegenüber zwar Nein sagt, aber trotzdem nicht den Eindruck vermittelt, mit einer Situation zurechtzukommen? Sprecht es aktiv an:

Beispiel: Ihr seht, dass eine blinde Person zielsicher auf eine gut befahrene Kreuzung zumarschiert.
Wenn ihr hier eure Unsicherheit benennt, darauf hinweist, dass da vorne eine Kreuzung kommt und fragt, ob euer Gegenüber Hilfe braucht, versteht euer Gegenüber worin eure Unsicherheit besteht und kann auch erklären wie er sich zurechtfindet (oder sich auch denken: Es geht Sie nichts an, wie ich mich im Straßenverkehr zurechtfinde. Schau zu und lerne!).

Oft kommt es hier zu Konflikten, weil Menschen mit Behinderung das Gefühl bekommen, nicht ernst genommen zu werden. Glaubt denn niemand, dass ich auch alleine zurechtkomme? Dabei liegt es oft einfach daran, dass das Wesentliche nicht kommuniziert wird aus Angst vor dem unbeliebten Fettnäpfchen. Oder eben auch daran, dass sich Menschen mit zwei Augen nicht vorstellen können, wie man sich im Straßenverkehr bewegt, wenn man nichts sieht.

“Nein bloß nicht!” hat nicht immer etwas mit euch als Person zu tun.

Wenn ihr jemandem eure Hilfe anbietet und eine wortkarge Antwort zurückbekommt, muss das nicht zwingend etwas damit zu tun haben, dass ihr gerade in sein Fettnäpfchen gesprungen seid. Das kann so viele verschiedene Gründe haben. Der banalste Grund ist, dass die angesprochene Person einfach einen schlechten Tag hat.

Dann kommt es aber auch häufiger vor, dass manche Menschen mit Behinderung gefühlt alle fünf Minuten gefragt werden, ob sie Hilfe benötigen. Bei den ersten zwei Personen bleibt man dann noch freundlich. Bei Person drei beginnt man wahrscheinlich mit den Augen zu rollen und so weiter. Je mehr Personen fragen, desto voller wird das innere Fass und desto lauter wird die Frage: Wirke ich so hilflos?

Dazu erlebe ich auch immer wieder Menschen, die Dinge bezüglich der eigenen Behinderung negativ deuten. Also im Sinne von: Ich habe eine Behinderung und weil DU mir jetzt Hilfe anbietest, sprichst du mir das Recht ab, das auch irgendwie alleine hinzubekommen. Meinst du denn nicht, dass ich das auch ALLEINE kann?

Vorausgesetzt ihr habt euer Gegenüber nicht von oben herab behandelt und seid freundlich geblieben, dann könnt ihr wirklich nichts für negative Situationen und solltet euch von schlecht gelaunten Menschen auch nicht entmutigen lassen.

Regelmäßige Hilfsangebote

In diesem Kapitel geht es um regelmäßige Hilfsangebote: Menschen mit Behinderung sind Teil eures Alltags. Ihr begegnet ihnen beispielsweise in der Schule, der Ausbildung, dem Studium oder an eurem Arbeitsplatz. Auch hier gibt es ein paar Kleinigkeiten, die wichtig sind:

Verwechslung zwischen Hilfsangebot und Interesse an einem näheren Kontakt

Es mag sein, dass ihr einfach sozial kompetent seid, helft, weil ihr helfen möchtet, euch euer Gegenüber aber nicht als Mensch interessiert. An sich ist das auch überhaupt kein Problem. Schließlich kenne ich auch Menschen von denen mich die einen mehr und die anderen weniger interessieren. Da müsst ihr euch also nichts vorwerfen. Dennoch ist es schwierig hier die Grenze zu ziehen.

Beispiel: Im Studium bin ich immer wieder hilfsbereiten Studierenden begegnet. Wir sind nach den Lehrveranstaltungen gemeinsam zur Straßenbahn gelaufen oder sie haben mir geholfen, mich im Freiburger Baustellenwirrwarr zurechtzufinden. Hier liefen wir nicht etwa schweigend nebeneinander her, sondern unterhielten uns über das, was wir gerade gemeinsam erlebt hatten.

Zu Beginn des Studiums fiel es mir hier aber schwer, zwischen Freundschaft und Hilfsangebot zu unterscheiden.
Mit der Zeit habe ich aber gelernt, die Situation zu nehmen, wie sie ist. Einen Weg mit einem interessanten Menschen zu gehen, sich über den Moment zu freuen und es dann auch dabei zu belassen und das Ganze nicht schon wieder mit Erwartungen oder Hoffnungen zu verbinden.

Deswegen: Bleibt euch an dieser Stelle treu. Hilfsangebote sind super, keine Frage. Aber ihr müsst damit keinen Vertrag für den Rest eures Lebens unterschreiben.

“Das ist doch ein Thema für dich!”

Die Behinderungsschublade
Dieses Kapitel ist ein kleiner Exkurs. Ich bin durch einen Twitter Kommentar auf diese Möglichkeit aufmerksam gemacht worden und hätte selbst gar nicht so weit gedacht. Deswegen hoffe ich jetzt einfach mal, dass trotzdem deutlich wird, was ich meine:
Hier geht es um die Frage inwiefern die Behinderung meine Persönlichkeit ausmacht. Kommen wir zum Twitter Beispiel, damit klarer wird, was ich meine:

In dem Tweet ging es um die Frage, ob man nur, weil man homosexuell sei, ausschließlich Interesse an Medien über Homosexualität hat.

Diese Fragestellung lässt sich auch auf Menschen mit Behinderung übertragen: Natürlich ist meine Behinderung ein Teil von mir. Dennoch habe ich Hobbys, die mich interessieren oder andere Dinge, die mich als Menschen ausmachen.

Es kann euch auch passieren, dass ihr einen Artikel entdeckt, in dem es in irgendeiner Form um Menschen mit Behinderung geht. Ihr müsst natürlich sofort an eure*n Bekannte*n denken. Nun seid ihr euch unsicher: Ihr mögt nämlich keine Fettnäpfchen.
Auch hier hilft: Die Unsicherheit kommunizieren und auch hervorheben, warum ihr eurem Gegenüber diesen Artikel (oder was auch immer) empfehlen möchtet. Dann weiß euer Gegenüber, dass ihr ihn nicht auf seine Behinderung reduziert, sondern euch etwas bei der Empfehlung gedacht habt.

Und Du?

Was denkst Du über diesen Artikel oder allgemein über das Thema Hilfe anbieten?
Sind Dir noch weitere Aspekte eingefallen, die ich in diesem Beitrag nicht beachtet habe? Schreibe sie mir gerne in die Kommentare.
Über welche Themen sollte ich in der Rubrik Ge(h)brechen schreiben?

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Zu meiner Person

Ich bin von Geburt an auf dem linken Auge blind und auf dem rechten Auge hochgradig sehbehindert. Seit 2017 beträgt mein Sehrest 2%, was bedeutet, dass ich nach dem Gesetz als blind gelte. In der Praxis heißt dass: Ich…

  • Habe Mühe mich in unbekannten oder schlecht beleuchteten Räumen zu orientieren
  • Erkenne mir bekannte Personen nicht im Vorbeigehen
  • Laufe mit einem Blindenlangstock (von mir als Elderstab betitelt) pendelnd durch die Weltgeschichte
  • Kann keinen Blickkontakt aufnehmen und mit der Mimik meines Gegenübers nichts anfangen
  • Kann Personen, die in unmittelbarer Nähe (linker, rechter Sitznachbar je nach Entfernung auch mein Gegenüber) erkennen, alles was darüber hinaus geht aber nicht

 

Die letzten fünf Beiträge dieser Rubrik:

Vier Tipps für ein erfolgreiches Studium mit Behinderung:

Tipp 1: Orientierung ist alles
Tipp 2: Organisation ist alles
Tipp 3: Umgang mit der eigenen Behinderung
Tipp 4: Bezieh nicht alles auf dich
5 Dinge, die mich an meiner Sehbehinderung stören

 

 

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