Vier Tipps für ein erfolgreiches Studium mit Behinderung – Tipp 4: Bezieh nicht alles auf dich!

Zwei Personen, die als Silhouetten dargestellt sind, besteigen einen Berg und helfen sich dabei gegenseitig.
Bild von: Emma Zecka

Hallo zusammen,

nun sind wir auch schon beim letzten Beitrag in dieser kleinen Reihe angekommen. Für alle, die die Beiträge jetzt erst entdecken, nochmal eine kurze Zusammenfassung: Ich, selbst Studentin mit Behinderung, dachte mir, dass es eine clevere Geschichte wäre, anderen Studierenden egal ob mit oder ohne Behinderungen Anregungen für den Studienalltag zu geben.

Im ersten Tipp ging es um das Thema Orientierung. Hier spielt hauptsächlich die räumliche Orientierung eine Rolle. Ich verrate euch, wie ich mich zu Beginn auf dem Hochschulgelände orientiert habe und erkläre auch, was Mobilitätstraining ist und wie euch dieses Training im Alltag hilft.

Im zweiten Tipp geht es um das Thema Organisation, womit wir beim ersten Beitrag wären, der sich auch an Studierende ohne Behinderung richtet. Die behandelten Themen sind hier u.a.: Nachteilsausgleich im Studium, Beschaffung von Fachliteratur.

Im dritten Tipp geht es dann ans Eingemachte: Umgang mit der eigenen Behinderung. Natürlich möchte niemand auf seine Behinderung reduziert werden. Dennoch gibt es, aus meiner Sicht, wichtige Dinge, die andere vielleicht wissen sollten, damit Unsicherheiten und Irritationen abgebaut werden können.

Wie immer gilt: Die in den Beiträgen angesprochenen Anregungen sind nicht in Stein gemeißelt. Sie können euch weiterhelfen oder ihr könnt sie verfluchen und mich zum Teufel jagen. Schön finde ich es, wenn wir in den Kommentaren über den Inhalt und eure Erfahrungen ins Gespräch kommen.

Wie es der Titel schon sagt, soll es heute um das Thema Bezieh nicht alles auf dich! gehen. Und das ist wirklich eine knifflige Sache. Dieser Punkt hängt ziemlich eng mit dem vorangegangenen Tipp, dem Umgang mit der eigenen Behinderung, zusammen. Dennoch gibt es hier genügend Stoff für einen eigenen Beitrag. Also, auf geht’s:

Tipp 4: Bezieht nicht alles auf euch persönlich

Gerade in der Anfangszeit oder im Laufe eures Studiums kann es immer wieder irritierende Situationen geben. Um besser verdeutlichen zu können, was ich meine, führe ich mal die beiden folgenden Beispiele an:

Betriebsblinde Dozierende

Das kann schon bei einfachen Schaut-euch-um-und-bildet-eine-Gruppe-Situationen losgehen. Kurz zu Erklärung: Wer hier eine räumliche Orientierung hat und zusätzlich noch Blickkontakte aufnehmen kann, findet so schnell Leute für die angekündigte Gruppenarbeit.

Ich habe aber ein anderes Beispiel für euch: Im Rahmen meines Studiums mussten wir auch ein einjähriges Seminar in Gesprächsführung belegen. Hier ging es nicht nur darum, sich Theorie anzueignen, sondern auch darum, viel zu üben und ein Gefühl dafür zu bekommen, wie man schwierige Gespräche führt.

In der Anfangszeit war es wichtig, dass wir uns untereinander kennenlernten und Vertrauen zueinander aufbauen konnten. Später sollten dann nicht nur anhand von Fallbeispielen Gesprächssituationen nachgestellt werden, sondern auch eigene Themen auf den Tisch kommen.

Zu Beginn des Seminars fand also ein Kennlernspiel statt. Hier wurde jedem von uns ein Zettel auf den Rücken geklebt. Wir sollten uns dann positive Dinge auf den Rücken schreiben. Mir war klar, dass das bei mir aufgrund meines Sehrests nicht funktionierte.

Ich thematisierte es und so wurden mir Sachen auf den Rücken geschrieben, aber selbst musste ich nichts schreiben. Ich ging also davon aus, dass klar war, dass ich bei solchen Übungen nicht mitmachen konnte.

Zum Seminarabschluss haben wir dann eine Reihe solcher Spiele gemacht. Erst sollten wir in Partnerarbeit ein Bilderrätsel zusammensetzen. Ein Dialog zwischen meinem Partner und mir:
Er: “Siehst du es?”
Ich: “Nein!”
Und so durfte er das Rätsel dann alleine machen.

Danach hat jeder von uns einen Zettel in der Form eines kleinen Herzens bekommen. Wir sollten wieder unseren Namen darauf schreiben und die Zettel gingen reihum.

Jeder durfte wieder eine Bemerkung über jemand anderen auf dem neuen Zettel notieren. Wieder war ich außen vor. Die Zettel hatten unterschiedliche Farben, sodass ich nicht lesen konnte, was auf den einzelnen Zetteln stand. Der Kontrast war für mich nicht ausreichend. (Beispiel: dunkle Schrift auf dunklem Hintergrund).

Jemanden zu bitten, etwas für mich aufzuschreiben, hätte ich in dem Moment ziemlich unpassend gefunden, zumal so jemand anderes von der Arbeit abgehalten worden wäre und man mehr Zeit hätte einplanen müssen.

Jetzt denkt ihr euch vielleicht: Immer diese bösen, bösen Dozierenden. Das ist mir aber zu einfach gedacht, obwohl ich nach diesem Seminar ziemlich wütend war und mich erstmal bei Freunden darüber aufgeregt habe.
Hier finde ich es sehr wichtig, sich immer wieder klarzumachen, dass Personen in den seltensten Fällen mit Absicht ausgeschlossen werden. Es ist kein persönlicher Angriff gegen euch oder eine bewusste Ignoranz eurer Behinderung gegenüber.

Um mal beim obigen Beispiel zu bleiben: Ich studiere Soziale Arbeit, da geht es mitunter darum Ratsuchenden in schwierigen Lebenslagen zu helfen. Die dozierende Person hätte den Beruf also ziemlich verfehlt, wenn sie sich einen Spaß daraus machen würde, Kursteilnehmende aus der Gruppe auszuschließen.

Dennoch sorgen solche Situationen für Frustration. Da ich zum Zeitpunkt der Abschlussrunde meine Note für das Seminar noch nicht hatte, habe ich mich nicht getraut, etwas zu sagen. Hätten wir unsere Noten bereits bekommen, wäre ich wahrscheinlich früher gegangen.

Wären noch andere Termine angestanden, hätte ich vermutlich etwas gesagt, in der Hoffnung, dass für zukünftige Termine eine Lösung gefunden wird, damit ich am Seminar teilnehmen kann.

So habe ich es über mich ergehen lassen, mich im Nachhinein bei Freunden über das Seminar aufgeregt und mich sehr darüber geärgert, dass mir in dieser Situation keine andere Möglichkeit eingefallen ist, das Problem zu thematisieren.

Auch wenn es absolut nervig ist: Bei einigen Dozierenden muss man wirklich hinterher sein und wahrscheinlich immer wieder daran erinnern, dass bestimmte Spiele oder Übungen im Original eben nicht funktionieren.

Das oben genannte Beispiel war das einzige, in dem es so massive Probleme gab. In anderen Kursen fragten mich die Dozierenden zum Teil, was ich bräuchte bzw. reagierten verständnisvoll wenn ich beispielsweise darum bat, dass Unterlagen bitte vorab zur Verfügung gestellt werden sollten. Wichtig ist dass ihr auf jeden Fall freundlich bleibt und nicht mit einer fordernden Haltung auftretet.

Kurzum: Ihr könnt eure ganze Energie jetzt in die Keiner-beachtet-mich-Nummer stecken. Aber das ist es echt nicht wert. Denn so bleibt nichts mehr übrig, um Lösungsansätze zu finden, damit ihr auch etwas von der Lehrveranstaltung habt.

Kommunikation unter Studierenden

Ihr kennt es sicher: In der Anfangszeit lernt ihr jede Menge netter Leute kennen und führt gute Gespräche. Und dann sitzt ihr in einem Vorlesungssaal mit hundert anderen Studierenden. Wer schlecht sieht und diejenigen wiederfindet, mit denen er reden möchte, der kann mir mal SOFORT sein Geheimrezept verraten.

Im vorherigen Artikel habe ich bereits erzählt, dass ich zu Beginn von Seminaren kommuniziert habe, dass ich die Leute in einer großen Gruppe weder erkennen noch wiederfinden werde. Wenn es also Pausen während der Vorlesungen gab, bin ich meist auf meinem Platz sitzen geblieben, weil herumlaufen und Leute suchen mit denen ich vielleicht reden möchte, für mich keinen Sinn ergeben hätte.

Immer wieder kam es vor, dass ich irgendwo in meiner Nähe bekannte Personen hören konnte, aber nicht genau wusste, wo sie sich befinden. Rufen hätte bei der Lautstärke im Raum absolut nicht funktioniert. Zu Beginn war ich dann sehr irritiert, weil ich hörte, dass sie in meiner Nähe waren, sie aber nicht vorbeikamen, um kurz Hallo zu sagen. Ich hatte damals die Idee, dass wir uns doch ganz gut verstanden hatten und war daher verwundert, dass offenbar kein Interesse bestand, sich mit mir in der Pause zu unterhalten.

Und hier ist schon das erste Problem: Ich bin hier in einer Warteposition, in der ich eigentlich nicht sein will. Wenn ich mich daher wirklich mit Leuten in der Pause treffen möchte, könnte ich ihnen beispielsweise schreiben und die Situation erklären und schauen, was passiert. Dieses Gedankenspiel spinne ich an dieser Stelle mal in zwei Richtungen weiter:

Situation 1: Nach verschickter Nachricht, hat sich das Problem in Luft aufgelöst. Menschen sind nicht perfekt. Da ich mich beispielsweise sicher im Hochschulgebäude bewege, haben sie einfach vergessen, dass ich sie nicht sehen kann. Ja, dass kann wirklich passieren, weil ich mich ja nicht unsicher in den Räumen bewege.

(Selbst meine Eltern haben früher daheim ab und an vergessen, dass ich schlecht sehe, weil ich mich in gewohnter Umgebung eben schnell bewege).

Situation 2: Wenn sich dann immer noch nichts ändert, neigen viele von euch sicher dazu, entweder den Fehler bei euch zu suchen oder die Studierenden zu verteufeln. So nach dem Motto: Die schließen mich ja alle aus und wollen nichts mit mir zu tun haben. Und ich vermute, die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte.

Es geht also zum einen darum, die Kommunikation unter Sehenden (ich mag das Wort nicht, aber mir fällt momentan noch kein anderes Synonym ein) zu verstehen und vielleicht auch zu schauen, was mein Anteil an der fehlenden Kommunikation ist.

Eine Person, die keine Sehbehinderung hat, schafft es ebenfalls nicht mit allen bekannten Personen zu reden, die sich in einem Raum mit 100 anderen Leuten befinden. Das ist einfach so. Allerdings haben es Sehende einfacher, mit anderen Menschen in Dialog zu treten. Man winkt sich im Vorbeigehen zu, nimmt Blickkontakt auf und so sind oft schon die ersten Weichen für ein Gespräch oder ein Hey-ich-hab-dich-gesehen-Moment gestellt. Das Gegenüber fühlt sich beachtet und beide gehen wieder ihrer Wege.

An dieser Stelle noch eine kleine, lustige Situation: In der Anfangszeit meinte eine Kommilitonin mal zu mir: “Hey, ich hab dir vorhin gewunken und dann ist mir eingefallen, dass du das ja gar nicht siehst.” Das fand ich dann irgendwie witzig und nett zugleich.

Kommen wir abschließend nochmal zu der Frage nach der Kommunikation: Wie bereits angekündigt, würde ich erst einmal versuchen, mich gezielt zu verabreden. Wenn das Gegenüber hier aber bei ausweichenden Ja-mal-schauen-Sätzen bleibt, würde ich den Personen nicht mehr hinterher rennen. Diese Ich-will-mich-nicht-festlegen-Sätze haben unterschiedliche Bedeutungen.

Zum einen könnt ihr hier verplanten Menschen begegnen, die sich noch nie festlegen mussten und ihr Leben daher weiterhin spontan gestalten wollen.

Zum anderen ist es einfach die freundliche Sorry-eigentlich-bist-du-nicht-mein-Fall-Antwort. Und auch das kann tausend Gründe haben und muss nicht zwingend mit eurer Behinderung zusammenhängen. Schließlich habt ihr im Laufe eures Lebens sicher ebenfalls Menschen kennen gelernt, die euch einfach nicht liegen. Punkt. Aus.

Was tun gegen Einsamkeit?

In der Theorie klingt das natürlich alles so einfach und logisch. Aber in der Praxis ist das oft alles um einiges komplizierter. Gerade in den ersten Wochen meines Studiums bin ich morgens an die Hochschule gefahren, habe im Laufe des Tages kein einziges Gespräch geführt und bin dann wieder nach Hause gekommen. Wäre ich in einer fremden Stadt gewesen, hätte ich mein Studium wahrscheinlich abgebrochen, weil Einsamkeit schon ziemlich nervig sein kann.

Daher die Frage: Was tun? Wenn ihr merkt, dass euch euer Jahrgang einfach nicht liegt, bleibt immer noch die Option, euch Kontakte außerhalb der Hochschule zu suchen. Vielleicht habt ihr ein Hobby, das ihr auch trotz Studium weitermachen könnt.

Mir hat besonders geholfen, meine innere Einstellung zu Kommunikation und Dialogen im Rahmen meines Jahrgangs zu überdenken. Früher bin ich mit dieser Hey-ihr-müsst-doch-mit-mir-reden-Mentalität an die Hochschule gefahren. Ich wollte unbedingt Kontakte. Und genau das strahlte ich vermutlich auch aus. Es war in unsichtbaren Lettern auf meine Stirn gedruckt.
Nachdem ich diese Haltung dann über Bord geworfen und sie gegen einen Entweder-es-läuft-was-oder-halt-nicht-Satz eingetauscht habe, erlebte ich Tage mit ungeahnten Begegnungen und schönen Zwischen-Tür-und-Angel-Gesprächen. Nicht mehr und nicht weniger. Aber es waren eben angenehme zehn Minuten.

Dennoch ist es natürlich wichtig, Menschen um sich herum zu haben, die einem liegen. Egal, ob das jetzt im eigenen Studiengang oder außerhalb des Hochschullebens ist.

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Zu meiner Person

Ich bin von Geburt an auf dem linken Auge blind und auf dem rechten Auge hochgradig sehbehindert. Seit 2017 beträgt mein Sehrest 2%, was bedeutet, dass ich nach dem Gesetz als blind gelte. In der Praxis heißt dass: Ich…

  • Habe Mühe mich in unbekannten oder schlecht beleuchteten Räumen zu orientieren
  • Erkenne mir bekannte Personen nicht im Vorbeigehen
  • Laufe mit einem Blindenlangstock (von mir als Elderstab betitelt) pendelnd durch die Weltgeschichte
  • Kann keinen Blickkontakt aufnehmen und mit der Mimik meines Gegenübers nichts anfangen
  • Kann Personen, die in unmittelbarer Nähe (linker, rechter Sitznachbar je nach Entfernung auch mein Gegenüber) erkennen, alles was darüber hinaus geht aber nicht

 

 

3 Gedanken zu „Vier Tipps für ein erfolgreiches Studium mit Behinderung – Tipp 4: Bezieh nicht alles auf dich!“

  1. Ich finde die Idee, über Behinderung und Studium zu schreiben, toll, auch wenn ich nicht behindert bin. Trotzdem ist das Thema Einsamkeit für alle Studenten groß und du bietest gute Alternativen. Ein mutmachender Post 🙂

    Einziger Kritikpunkt: Mir fehlt eine kurze Erklärung deiner Behinderung. Da du Beispiele aus deinem Leben zeigst, hätte ich das gebraucht, um mir die Person vorstellen zu können. Da dieser Post für sich allein steht und ohne die anderen lesbar ist, wäre ne Einführung bei jedem Teil gut.

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  2. Liebe Evy,
    es freut mich, von dir zu lesen.
    Das das Thema Einsamkeit auch andere Studenten betrifft, war mir gar nicht so klar. Ich hatte in meinem Semester so den Eindruck, dass viele erstmal eine Gruppe finden und diese ggf. im Laufe des Studiums vielleicht noch wechseln. Und dann gibt es natürlich auch die Kandidaten, die an ihre Wohnort studieren und dort schon gut eingebunden sind, weswegen sie gar nicht so viele Kontakte an der Uni brauchen.

    Vielen Dank für deine Rückmeldung bezüglich der Einführung meiner Behinderung. Da werde ich mal an einem kurzen Text feilen und das bei den Beiträgen ergänzen. Hier und da gibt es Beiträge, in denen ich ausführlicher über meinen Sehrest berichte und da dachte ich mir, dass ich meine Leser ja nicht mit der Wiederholung der Wiederholung langweilen möchte. Die Idee gefällt mir aber echt gut.

    viele Grüße und einen schönen Feiertag wünscht

    Emma

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  3. Ja, das wär toll 🙂 Einsamkeit: Ich studiere nicht, aber ich habe erlebt, dass die Frage, wieviel Kontakt man möchte und braucht, im Studium da ist. Das hängt vlt. auch von der Größe der Uni und der Infrastruktur in der Stadt ab. Aber es kann sein, dass man trotz der vielen Leute nur schwer Kontakt findet, besonders, wenn es einem ohnehin schwerfällt. Andererseits muss man aufpassen, dass all der Kontakt nicht zuviel wird.

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