Vier Tipps für ein erfolgreiches Studium mit Behinderung Tipp 3: Umgang mit der eigenen Behinderung

Zwei Personen, die als Silhouetten dargestellt sind, besteigen einen Berg und helfen sich dabei gegenseitig.
Bild von: Emma Zecka

Hallo zusammen,

heute kommen wir also zum vorletzten Tipp in dieser kleinen Reihe. Falls ihr gerade zufällig über diese Artikel stolpert und euch fragt, was es damit auf sich hat: Ich, selbst Studentin mit Sehbehinderung und kurz vor Ende des Studiums, möchte anderen Studierenden mit Behinderungen von Dingen erzählen, die mir im Studium geholfen haben.

Im ersten Beitrag ging es um das Thema räumliche Orientierung auf dem Hochschul- bzw. Uni Gelände.

Im zweiten Teil gibt es etwas zum Thema Organisation im Studium zu lesen. So erzähle ich beispielsweise, welche Möglichkeiten es gibt an barrierefreie Fachliteratur zu kommen.

Die Tipps sind nicht in Stein gemeißelt. Es kann sein, dass sie dem ein oder anderen von euch helfen. Es kann aber genauso gut vorkommen, dass ihr überhaupt nichts mit meinem Geschreibsel anfangen könnt.

Gerne möchte ich mich in den Kommentaren mit euch über eure Erfahrungen im Studium austauschen. Was war für euch wichtig?

Am Ende des Artikels gibt es einen kleinen Abschnitt, in dem ich weitere Artikel verlinkt habe, die in der Rubrik Ge(h)brechen erschienen sind. Außerdem erzähle ich euch in Kürze, wie viel ich sehe.

Tipp 3: Überlege Dir wie Du im Rahmen Deines Studiums mit Deiner Behinderung umgehst

Je nachdem, welche Behinderung ihr habt, werdet ihr mir spätestens jetzt wahrscheinlich den Vogel zeigen und brüllen: Ich stell mich doch nicht an den Pranger, ich bin doch nicht blöd!

Ihr müsst ja auch nicht jeder wildfremden Person eure Lebensgeschichte erzählen. Dennoch ist es wichtig, dass zumindest einige Personen über eure Behinderung und die Symptome informiert sind.

Nicht sichtbare Behinderungen oder Erkrankungen

Hier fallen mir zu allererst die psychischen Erkrankungen ein. Es sind natürlich auch alle anderen Erkrankungen gemeint, die man auch nicht auf den ersten Blick ansieht, die aber wiederum dafür sorgen, dass ihr in Teilen eures Studiums eingeschränkt seid und z.B. länger braucht, um Leistungsnachweise zu erbringen, oder die Vorlesungen nicht immer besuchen könnt.

Wenn ihr hier nicht offen mit eurer Erkrankung umgehen möchtet, kann ich das absolut nachvollziehen. Dennoch denke ich, dass ihr euch das Studentenleben erleichtern könnt, wenn ihr beispielsweise einen Antrag auf Nachteilsausgleich beim Prüfungsamt stellt.

Hier könnt ihr beispielsweise beantragen, dass ihr für Prüfungen oder Hausarbeiten mehr Zeit bekommt. So wissen zumindest die Leute Bescheid, die euch benoten müssen. Wie ihr so einen Nachteilsausgleich beantragen könnt und was es dabei zu beachten gibt, erkläre ich HIER.

Zudem ist jede Hochschule oder Universität mit einem Behindertenbeauftragen besetzt. Eine Aufgabe des Behindertenbeauftragen ist es, Studierende mit Behinderung beim Studium zu unterstützen bzw. zu beraten. Ihr könnt euch also auch gerne mit den Mitarbeitern in Verbindung setzen.

Sichtbare Behinderungen

Einige Sehbehinderungen sind sichtbar. Ihr bekommt die irritierten Blicke vielleicht nicht mit, weil ihr sie nicht seht, aber eurem Umfeld wird schnell auffallen, dass da etwas nicht stimmt. Ich persönlich bin sogar froh, dass man mir meine Behinderung ansieht, weil ich so gar nicht auf die Idee kommen würde, irgendetwas zu verheimlichen. Nun kommen wir zu meinen Ideen:

Dinge benennen

Ich bin gerade in der Anfangszeit dazu übergegangen, bei Vorstellungsrunden meine Sehbehinderung anzusprechen und zu erklären, wie viel ich sehe. Hier ist es vor allem wichtig, dass ihr nicht ausschließlich eure Prozentzahl nennt, sondern auch erklärt, wie sich euer Sehrest im Alltag bemerkbar macht.

Zudem habe ich dann erwähnt, was die Leute tun können, wenn sie mit mir ins Gespräch kommen wollen. (Mich gezielt ansprechen zum Beispiel und das idealerweise mit meinem Namen). Allerdings habe ich das nur gemacht, wenn es im Seminar Vorstellungsrunden gab.

Bei einigen Studierenden war das der Türöffner. Ich hab gemerkt, dass sie keine Probleme im Umgang mit mir haben. Andere haben sich nach der Fragerunde wieder zurückgezogen und waren für mich nicht mehr sichtbar. Damit müsst ihr natürlich auch rechnen. Dennoch finde ich es sehr wichtig, aufzuklären. Denn nur so sorgt ihr dafür, dass es keine Irritationen gibt.

In Vorlesungen bin ich zu Beginn meist zum Dozenten gegangen und habe gefragt, ob es möglich ist die Vorlesungsfolien vorab zur Verfügung stellen zu können, damit ich in der Lehrveranstaltung auch mitlesen kann. Hier braucht ihr sehr viel Geduld und gute Argumente, da die meisten Dozenten zwar Verständnis zeigen, es aber regelmäßig vergessen oder klarstellen, dass sie sich gerne die Ich-ändere-in-letzter-Minute-einen-Inhalt-Option offen halten möchten.

(Wer noch ein Thema für eine Forschungsarbeit suchen sollte: Mich würde brennend interessieren, welche Dozenten am Frühstückstisch nochmal ihre Vorlesungsfolien durchgehen, um in letzter Minute Inhalte zu ändern).

In letzteren Fällen hatte ich dann oft Glück und die Dozenten haben ihre Materialien dann am selben Tag oder zeitnah zur Verfügung gestellt, sodass ich gezielt nacharbeiten konnte.

Sätze wie “Ich will nicht auf meine Behinderung reduziert werden” streichen

Inhaltlich stimme ich euch hier vollkommen zu. Ihr seid mehr als nur der Mensch mit Behinderung. Allerdings kann dieser Satz je nachdem auf welche Leute man trifft, auch ein Kommunikationskiller sein.

Stellt euch vor, dass die meisten aus eurem Semester noch nie etwas mit einem Menschen mit Behinderung zu tun hatten. Viele sind unsicher und wissen nicht, wie sie mit euch umgehen sollen oder haben eine Hand voll Fragen, möchten aber auch nicht hochkant ins Fettnäpfchen springen.

Ich will nicht auf meine Behinderung reduziert werden, könnte auch übersetzt heißen: Sprich mich nicht darauf an. Damit habt ihr wahrscheinlich eure Ruhe vor den vielleicht lästigen immer wiederkehrenden Fragen. Die Unsicherheiten eures Gegenübers bleiben aber bestehen.

Stellt euch darauf ein, dass

  • es eine Menge Leute geben wird, die sich nicht trauen werden, offen auf euch zuzugehen, weil sie absolut noch nie etwas mit einem Menschen mit Behinderung zu tun hatten und einfach Angst davor haben.
  • gefühlt alle euch kennen, ihr aber ihr selbst nur einen Bruchteil eures Jahrgangs.
  • am Anfang sehr viele Fragen zu eurer Behinderung kommen werden: Einige verabschieden sich nach der Fragerunde und waren nie wieder gesehen. Für Andere ist die Fragerunde zum Einstieg der Türöffner für einen zuverlässigen Kontakt.
  • ein offener Umgang mit eurer Behinderung euch oft das Leben erleichtern kann: Sagt was ihr braucht, dann weiß euer Umfeld Bescheid.

 

Deine Erfahrungen

An dieser Stelle interessiert mich brennend, welche Erfahrungen du im Studium oder in der Ausbildung gemacht hast.
Oder an die Leser, die keine Behinderung haben: Was würde dir im Umgang mit Menschen mit Behinderung helfen? Wo sind deine Unsicherheiten?

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Zu meiner Person

Ich bin von Geburt an auf dem linken Auge blind und auf dem rechten Auge hochgradig sehbehindert. Seit 2017 beträgt mein Sehrest 2%, was bedeutet, dass ich nach dem Gesetz als blind gelte. In der Praxis heißt dass: Ich…

  • Habe Mühe mich in unbekannten oder schlecht beleuchteten Räumen zu orientieren
  • Erkenne mir bekannte Personen nicht im Vorbeigehen
  • Laufe mit einem Blindenlangstock (von mir als Elderstab betitelt) pendelnd durch die Weltgeschichte
  • Kann keinen Blickkontakt aufnehmen und mit der Mimik meines Gegenübers nichts anfangen
  • Kann Personen, die in unmittelbarer Nähe (linker, rechter Sitznachbar je nach Entfernung auch mein Gegenüber) erkennen, alles was darüber hinaus geht aber nicht

In dieser Rubrik bereits erschienen (Auswahl):

Bewerben für die Ausbildung / das Studium
Wo und wie beantrage ich Hilfsmittel?
Was muss ich für Prüfungen beachten?
Umgang mit der Sehbehinderung eigene Erfahrungen

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