Gargoyle

Das Hörbuchcover von "Gargoyle"
Bild von der Hörverlag

Der Inhalt

Kennt ihr diese Geschichten, mit denen man eine richtige Reise erlebt? Mit Höhen und Tiefen, Orientierungslosigkeit und aufgeregtem Kribbeln, weil man es kaum erwarten kann, weiterzuhören? Genauso ging es mit mir Gargoyle.

Die Handlung beginnt mit einem Mann, der einen Autounfall überlebt. Allerdings trägt er schlimme Verbrennungen davon und muss daher mehrere Monate in einer Rehabilitationseinrichtung behandelt werden. Dort lernt er Marianne Engel kennen, die eine blühende Fantasie hat. Und so stellt sich die Frage: Ist sie einfach nur verträumt oder vielleicht sogar weise?

Die Geschichte besteht aus drei Handlungssträngen: Zu Beginn erzählt uns der Verbrennungspatient erst einmal wer er ist und wie sein Leben bisher aussah. Seine Perspektive bewegt sich, nach dem Unfall, immer in der Gegenwart.
Als er Marianne Engel kennenlernt, setzt der zweite Handlungsstrang ein. Sie verbindet nämlich eine ganz eigene Geschichte mit dem Verbrennungspatienten. Und diese erzählt sie uns in ihrem Handlungsstrang.

Außerdem baut Marianne Engel immer wieder kleine Geschichten ein, die von Liebenden handeln. Menschen, die vor Entscheidungen gestellt werden. Wie viel wollen sie für ihre große, vielleicht sogar die einzige Liebe tun?
Und da bleibt natürlich die Frage, ob all diese Handlungsstränge wirklich zueinander führen.

Anfangs war ich etwas orientierungslos, weil ich nicht verstanden habe, in welche Richtung die Geschichte geht. Geht es um reine Krankheitsbewältigung? Hört die Geschichte an der Stelle auf an der unser Verbrennungspatient entlassen wird? Und was hat es mit Mariannes merkwürdigen, aber auch interessanten Geschichten auf sich?

Ich habe etwa das erste Drittel des Hörbuchs gebraucht, um zu verstehen, dass es sich hier um drei Handlungsstränge dreht, die früher oder später wahrscheinlich zusammenlaufen. Und als ich dann begriffen habe, wie jeder Handlungsstrang aufgebaut ist, wollte ich unbedingt wissen, wie die Geschichte weitergeht.

Die Idee mit jedem der drei Handlungsstränge eine andere Perspektive von Liebe zu beleuchten, fand ich ziemlich genial. Gerade, weil es sich hier eben um einen Reise handelt: Liebe mit Höhen und Tiefen. Und gegen Schluss kristallisiert sich eine klare Frage heraus, die Andrew Davidson in seiner Geschichte beantwortet.

Die beiden Protagonisten von Gargoyle sind sehr interessant, weil sie beide Mühe haben, Beziehungen zuzulassen oder aufrechtzuerhalten.

Der Verbrennungspatient hatte bisher nie die Möglichkeit, eine tragfähige Beziehung aufzubauen. Die Erkenntnis seines bisherigen Lebens bestand darin, sich auf sich selbst zu verlassen und sich nicht von anderen Menschen abhängig zu machen. Und da taucht plötzlich Marianne Engel auf, die einfach so beschließt sich um ihn kümmern zu wollen. Dabei kennt er sie doch gar nicht. Wie soll das also funktionieren?

Marianne Engel hingegen scheint hin- und her gerissen zwischen dem Wunsch nach einer Beziehung und dem Bedürfnis für sich zu sein und sich nur um sich selbst kümmern zu müssen.  Einige Personen stempeln Mariannes Verhalten als krankhaft ab. Und durch ihren Handlungsstrang lernen wir ihre Sicht auf die Welt kennen und finden heraus, dass ihre Gedanken durchaus Sinn ergeben.

Die Hörbuchgestaltung

Kommen wir nun zur Gestaltung des Hörbuches: Das Hörbuch wurde ungekürzt von der Hörverlag produziert und ich kann kaum glauben, dass die Geschichte schon zehn Jahre alt ist. Gefühlt hat das Hörbuch erst in den letzten fünf bis sechs Jahren zugelegt. Titel auf meinem Stapel ungehörter Hörbücher, die Anfang der 2000er Jahre produziert wurden, sind heute nicht mal mehr als Download erhältlich und das, obwohl es sich keinesfalls um schlechte Produktionen handelt. Deswegen freut es mich umso mehr, dass Gargoyle immer noch im Handel erhältlich ist.

Da wir hier zwei Protagonisten haben, kommen hier auch zwei Interpreten zum Einsatz und zwar Stefan Kaminski und Sascha Maria Icks. Beide Sprecher haben gut miteinander harmoniert.

Stefan Kaminski interpretiert hier einen Protagonisten der abgehärtet und bemüht ist, niemanden an sich heranzulassen. Doch nach seinem Unfall fällt er in ein tiefes Loch und Dämonen zeigen sich, die ihm das Leben schwer machen. Und gerade diesen Zwiespalt zwischen Stärke zeigen und kurz davor sein, zu zerbrechen, konnte Stefan Kaminski gut in Worte fassen.

Sascha Maria Icks kannte ich bisher nur aus der Lesung von Natascha Kampuschs 10 Jahre Freiheit. Und hier klang sie sehr hart und unterkühlt, was aber viel mit dem Inhalt zusammenhängt. Doch in Gargoyle interpretiert sie Marianne Engel, die sehr zerbrechlich wirkt. Und ich fand es sehr spannend, die Sprecherin in diesem anderen Stilmittel erleben zu dürfen. Sie hat es geschafft, mir Mariannes Gefühlswelt näherzubringen.

Der Schreibstil

Das Spannende an Andrew Davidsons Schreibstil finde ich ist, dass er in der Perspektive des Verbrennungspatienten in der Gegenwart schreibt und für den Handlungsstrang der Marianne in die Vergangenheit schlüpft und das es sich überhaupt nicht schwierig liest, sondern mir der Wechsel zwischen den Zeiten erst nach einer Weile aufgefallen ist. Und dabei habe ich den Eindruck, dass dieser Wechsel häufig als Stilbruch ausgelegt wird.

Besonders beeindruckend fand ich, dass er das Thema Liebe mit bildhafter Sprache beleuchtet, ohne, dass es kitschig wird, aber so, dass alle wesentlichen Informationen enthalten sind.

Gesamteindruck

Als ich mit Gargoyle begann, hatte ich keine Ahnung, was mich erwartete. Und nach der ersten halben Stunde spielte ich dann mit dem Gedanken, die Geschichte sogar abzubrechen. Zum Glück habe ich durchgehalten, die Orientierungslosigkeit überwunden und danach diesen Schatz gefunden.
Gargoyle ist für mich ein kleiner Geheimtipp bei dem man erst einmal genauer hinhören muss, um zu erkennen, welche Geschichte man hier vor sich hat. Ich kann das Hörbuch allen empfehlen, die eine besondere Liebesgeschichte suchen.

Infos zum Hörbuch

Gargoyle
Geschrieben von: Andrew Davidson
Gelesen von: Stefan Kaminski und Sascha Maria Icks
Bewertung: 5 von 5 Herzen

Bei meiner Lieblingsbuchhandlung bestellen.

4 Gedanken zu „Gargoyle“

  1. Ich kann es kaum glauben, dass endlich mal wer dieses Buch rezensiert. Ich habe es vor acht oder neun Jahren als Hörbuch gehorcht und seither ist es mir eigentlich nie auf Blogs untergekommen.
    Da es schon so lange her ist, kann ich mich nicht mehr an Details erinnern, aber ich mochte das Buch sehr gern und habe es als ziemlich fesselnd in Erinnerung. Ich glaube, das war eines meiner ersten richtig langen Hörbücher und ich habe damals nebenbei ein sehr zeitaufwändiges Lesezeichen geknüpft.

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  2. Das freut mich tierisch, dass Du die Geschichte auch als Hörbuch gehört hast. Ich habe den Eindruck, dass die meisten Blogger*innen eher lesen und nur selten zum Hörbuch greifen.
    "Gargoyle" ist eines meiner Jahreshighlights. Die Geschichte ist sehr bewegend und besonders gut gefallen haben mir die kleinen Geschichten, die in die Haupthandlung eingebaut waren. (Leider kann ich mich auch nicht mehr an Details erinnern. Aber ich glaube, dass ich diesen Titel irgendwann nochmal hören werde).

    viele Grüße 🙂

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  3. Ich lese im Verhältnis auch mehr als ich höre, aber da ich gern handarbeite, sind bei mir jedes Jahr auch immer etliche Hörbücher dabei, da das für mich die perfekte Kombination ist. Wenn ich dagegen "nur" das Hörbuch höre und daneben meine Hände nicht beschäftige, fange ich immer an mit den Gedanken abzuschweifen.

    Ich habe das Gefühl, dass "Gargoyle" insgesamt recht wenig besprochen wurde. Hängt vielleicht damit zusammen, dass es genremäßig zwischen den Stühlen sitzt – und noch dazu ist es zu einer Zeit erschienen, als Young Adult die Bücherblogs beherrscht hat.

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  4. Ich muss mir neben dem Hörbuch hören meist auch eine andere Beschäftigung suchen. Es gibt nur wenige Titel, bei denen ich mich so konzentrieren muss, dass ich nebenbei nichts Anderes machen kann.

    Ich habe auch das Gefühl – es kann aber auch gut sein, dass ich mich hier täusche, – dass viele Buchblogger*innen möglichst aktuelle Titel besprechen. Ich habe durch meine Verlagstermine im Rahmen der Buchmessen zwar auch einen guten Überblick über aktuele Titel, habe aber auch noch einen recht hohen Stapel ungehörter Hörbücher, der auch ältere Titel enthält.

    Und "Gargoyle" ist schon ein eher ungewöhnlicher Titel, das stimmt schon.

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