Goldkehlchen – Erinnerungen voller Lieder

Das Cover von "Goldkehlchen"
Bild von Piper Verlag

Der Inhalt

Musikpädagogin Antonia “Toni” Waller soll einen Demenzchor für einen Hamburger Chorwettbewerb fit machen. Eine Herausforderung, die sie gerne annimmt. Doch als sie auf den Chor trifft, ist sie sehr schnell ernüchtert. Schiefe Töne, vergessene Strophen und Konflikte unter den Chormitgliedern. Damit hätte sie nicht gerechnet. Doch nach und nach begreift sie, dass Musik mehr ist, als ein perfekter Auftritt.

Das Interessante an der Handlung ist, dass es nicht primär um den Weg zum Chorwettbewerb geht, sondern die eigentlichen Konflikte auf einer anderen Ebene stattfinden. Im Mittelpunkt stehen nämlich vor allem die Lebensgeschichten einiger Chormitglieder und Tonis Reaktionen darauf.

In Goldkehlchen – Erinnerungen voller Lieder geht es um die kleinen Dinge, die aber Großes bewirken können. Genau das hat mir an der Handlung sehr viel Spaß gemacht. Ich würde sogar soweit gehen, dass die Handlung leise und fein erzählt wird. Gerade diese kleinen Details arbeitet Adriana Popescu sehr gut heraus und schafft es, eine Spannung aufzubauen. Mich interessierte sehr, was die Chormitglieder erleben und ob sie einige Dinge in ihrem Leben noch aufarbeiten können.

Was die Themen betrifft, sind es nicht nur Themen, die wir vielleicht von unseren Eltern oder Großeltern kennen. Im Vordergrund steht natürlich das Altern mit allem was dazugehört: Auf das bisherige Leben zurückblicken, dicht gefolgt von der Frage, ob es denn noch Träume gibt, die es zu erfüllen gilt. Das eigene Heim aufgeben müssen, oder sich fragen, wer denn im letzten Lebensabschnitt noch da sein wird.

Es geht vor allem auch um familiäre Themen, die auch dazu einladen, sich mit der eigenen Familiengeschichte, Rollenbildern, Wünschen und Träumen auseinanderzusetzen.

Die Figuren

Der Großteil der Handlung wird aus der Perspektive von Toni erzählt, die laut meinem Verständnis deswegen auch die Hauptfigur ist. Wir bekommen mit, wie sie die Chormitglieder wahrnimmt und wie sie das Erzählte deutet. Wir erleben aber auch, wie es ihr mit ihrer eigenen Familie und den damit verbundenen Erwartungen geht.

Das Interessante an Toni ist, dass sie eine Hauptfigur ist, die sich sehr gut zurücknehmen kann, aber keinesfalls schüchtern ist. Sie nimmt viel wahr und setzt alles daran, die Menschen in ihrem Umfeld zu unterstützen. Wenn es darauf ankommt, verteidigt sie nicht nur sich, sondern vor allem auch ihre Goldkehlchen. Gerade in diesen Momenten habe ich sie sehr gefeiert.

Es gibt eine kleine Chorclique bestehend aus Paul Bollinger, den alle nur Bolle nennen, den Stuttgarter Frank Sinatra, im Pflegeheim Valentin Mersbach genannt und das Ehepaar Dorothea und Ulrich. Er hat eine beginnende Demenz und will es nicht wahrhaben, sie hat ein Geheimnis, versucht so gut es geht für ihren Mann da zu sein und das Geheimnis vor ihm zu verbergen.

Immer wieder bekommen wir Momentaufnahmen aus der Vergangenheit der Chorclique geliefert. Von manchen Chormitgliedern lesen wir häufiger, andere hingegen bleiben etwas im Hintergrund. Gerade diese Mischung aus dem Erleben der Figuren in der Vergangenheit und der Gegenwart fand ich diesmal sehr interessant, weil wir die Figuren zum einen am Ende ihres Lebens geprägt mit Tonis Wahrnehmung aber zum anderen auch während ihres Lebens kennenlernen und sich so ein Bild aus zwei Perspektiven ergibt.

Auch in diesem Roman dürfen Nebenfiguren nicht fehlen, wie Frau Fägele, die im Chor nicht stillsitzen kann und einen  Marathon läuft und Sophia, die nicht nur Spaß am Singen und am Tanzen hat. Wir erfahren nicht viel von ihnen, dennoch konnte ich mir die beiden Frauen bildhaft vorstellen und ich war beeindruckt davon, wie nah uns Adriana Popescu mir die Nebenfiguren gebracht hat.

Obwohl Adriana Popescu viele Geschichten oder Konflikte der Figuren nur anreißt, fand ich es diesmal spannend zu erleben, was das Nicht erzählte bewirken kann. Ohne die Lücken mit Worten zu füllen, schafft es Adriana Popescu trotzdem diese Lücken zu schließen und zwar so, dass es sich für mich stimmig angefühlt hat.

Der Schreibstil

Was mir hier sehr bewusst geworden ist, ist Show Don’t Tell, also ein Stilmittel, das dafür sorgt, dass wir die Handlung erleben und nicht erzählt bekommen.

Woran ich das festmache? Es gab immer wieder Momente, in denen Adriana Popescu zeigt, wo wir uns befinden z.B. zwei Figuren brechen an einen Handlungsort auf, dann gibt es einen Satz, der beschreibt wo sie sind und dieser Satz reicht aus, dass ich mir den Handlungsort vorstellen kann, ohne, dass es eine ausführliche Beschreibung des Handlungsortes gibt.

Durch Szenen wie z.B. das Ehepaar Dorothea und Ulrich, die nach der Chorprobe nach Hause fahren wollen, aber oft vor demselben Konflikt stehen, entsteht zwar ein ähnliches Setting, das aber immer einen anderen Inhalt bekommt, einerseits entsteht so etwas Vertrautes, weil wir die Szenerie schon gewohnt sind, wie beispielsweise bei einer abendlichen Serie, wo wir wissen, welche Figuren wo hin gehören. Andererseits bekommen wir aber neue Infos, was der Szene einen Mehrwert gibt,

Toll finde ich wie Adriana Popescu Konflikte im Kleinen auflöst. Natürlich hätte man hier und da mehr erzählen können, aber was ich bei den Goldkehlchen gerade so spannend finde ist, dass vor allem das Ungesagte, das Angedeutete wirkt und für mich zur Atmosphäre der Handlung beiträgt

Gesamteindruck

Ein toller Roman, der sich mit den Themen Altern, Trauer und Familienkonflikte auseinandersetzt, aber auch mit einer Leichtigkeit erzählt wird, die für eine tolle Ausgeglichenheit sorgt und uns nicht mit einem schweren Gefühl zurücklässt

Adriana Popescu überzeugt mich hier mit einer sehr bildhaften Sprache und spannenden Figuren. Sehr oft habe ich mir beim Lesen gewünscht, dass irgendein Mensch, der zufälligerweise bei der ARD oder beim ZDF arbeitet auf diesen Roman aufmerksam wird und einen Film daraus macht.

»Die anderen mögen tuscheln, kichern ja sogar lachen, es interessiert uns nicht, weil wir das alles nicht für sie, sondern nur für uns machen.«

(»Goldkehlchen – Erinnerungen voller Lieder« von Adriana Popescu, S. 329).

Lieblingszitate

 

Infos zum Buch

Goldkehlchen – Erinnerungen voller Lieder
Geschrieben von: Adriana Popescu
Bewertung: 5 von 5 Herzen

Bei meiner Lieblingsbuchhandlung bestellen.

Hier findet ihr mehr Infos über Adriana Popescu.

 

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