Im Jahre 1950

Ein Kranz in dessen Mitte eine 8 steht.

„Jetzt sagt dem Papa etwas Schönes“, schniefte die Mutter in ihr Taschentuch.
„Frohe Weihnachten“, murmelten wir.
Vater. Was für ein Wort. Natürlich wussten wir, was ein Vater war. Doch war unserer schon ganz lang ziemlich weit weg. Mein älterer Bruder behauptete zwar, er könne sich noch genau an ihn erinnern, aber ich glaube ihm kein Wort. Alle redeten davon, dass er gefallen sei. Als ich fragte, wohin denn, straften mich böse Blicke. Deswegen hatte ich mich auch nicht getraut zu fragen, ob denn sein Knie weh tat und man ihm zumindest ein Pflaster gebracht hätte. Oder warum ihm dann niemand geholfen hatte, wieder aufzustehen. Aber das war alles schon eine Weile her.
Während meine Mutter am Grab verharrte, sahen wir Kinder uns unsicher an.
„Wann gehen wir? Es ist kalt“, fragte mein kleiner Bruder.
„Boris“, zischte ich.

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In den 2000ern

Ein Kranz in dessen Mitte eine 7 steht.

Die Zeiten, an denen man noch glaubte, dass der Weihnachtsmann die Geschenke höchstpersönlich nach Hause brachte waren aktueller denn je. Der Tisch war reich gedeckt, die Verwandtschaft hatte Platz genommen und war in rege Gespräche vertieft. Wir Kinder konnten kaum ruhig sitzen. Geschenke… Wann war es endlich soweit? Das Essen schmeckte so … naja. Die Gespräche waren langweilig. Dann verließ einer der Erwachsenen den Raum. Erst ein Jahr später bekam dieses Detail eine wichtige Bedeutung. Damals interessierten wir uns nicht dafür. Schließlich warteten wir nur auf den einen. Den Weihnachtsmann. Und der hatte uns doch nicht vergessen… Oder?

Prüfend blickte ich auf die gutgefüllten Teller der Verwandtschaft. Ging das denn nicht ein bisschen schneller?
Doch plötzlich ging ein lautes Krachen durch den Raum. Ein Krachen, dass nur eines bedeuten konnte: DER WEIHNACHTSMANN! Bei uns im Haus! Ein Bruder – oder war es doch einer der Cousins? – brüllte: „Es kommt aus dem Keller.“

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Im Jahre 2016

Ein Kranz in dessen Mitte eine 6 steht.

Das virtuelle Blatt wurde zerknüllt und in einen Papierkorb geworfen. Wobei der Versuch scheiterte und die Kugel daneben landete. 24 Geschichten sollten es werden. Für einen Adventskalender. Das konnte doch nicht so schwer sein. Wo war denn die Weihnachtsstimmung? Bei 15 Grad im November…

Doch vielleicht würde irgendwo ein Stern aufgehen, der ihr den Weg leuchtete. Den Weg zur Kreativität?
Im Gehirn wurde die Erinnerung des schönsten Weihnachtsfestes gesucht. Und auch prompt gefunden…

 

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Zum nächsten Türchen

Im Jahre 1968

Ein Kranz in dessen Mitte eine 5 steht.

„Mann, alles so entspannt hier.“
Reggae Musik dröhnte in einem vollgequalmten Wohnzimmer. Von Weihnachtsstimmung keine Spur. Wozu auch? Hier fanden sich die Menschen ein, die Weihnachten boykottierten. Ein Fest, dass nur von der Industrie erfunden wurde. Coca Cola, das Unternehmen, das wahrscheinlich einen Deal mit seriösen Spielzeugherstellern gemacht hatte. Wer wusste das schon so genau…

Tina befand sich im Garten. Sie trug ein dickes Sweatshirt, dass zwar nicht wirklich vor der Kälte schützte, aber um einiges gemütlicher war, als der Hosenanzug, den sie zu Hause hätte tragen müssen.

„Willst du nicht rein kommen?“, Bob war unbemerkt neben ihr aufgetaucht. Tina konnte sich immer noch nicht daran gewöhnen, dass er sich nach dem gleichnamigen Reggae Sänger benannt hatte. Schließlich hatte sie ihn seit einer gefühlten Ewigkeit unter seinem alten Namen gekannt.

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Im Jahre ja wenn man das so genau wüsste…

Ein Kranz in dessen Mitte eine 4 steht.Er schlich alleine durch die dunklen Straßen. Es war kalt, sein Mantel war dünn. Das Geld für eine gute Bleibe fehlte. Und die Freunde, bei denen er umsonst unterkommen konnte, auch. Zumindest heute.
Er verfluchte diesen Tag. Die Menschen hatten es eilig gehabt. Eigentlich eine perfekte Gelegenheit um sich die ein oder andere Münze zu verdienen. Sei es durch das Stehlen der Geldbörse, oder das Betteln. Wenn Menschen viel zu tun hatten wollten sie nicht groß diskutieren. Also musste er an solchen Tagen nicht immer auf kriminelle Machenschaften zurückgreifen.

Er lief in Richtung des Dorfplatzes. Hier stand ein Baum. Prachtvoll geschmückt. Leuchtend. Friedlich stand er so da. Letztes Jahr hätte er diesen harmonischen Anblick verflucht. Er hätte ärgerlich an sein letztes Weihnachten Zuhause gedacht. Den Ort, den er bewusst verlassen hatte. Und an den er ganz bestimmt nicht mehr zurückkehren wollte. Heute gesellte sich neben die Wut, ein klitzekleines bisschen Wehmut. Auch wenn er das natürlich nie zugeben würde.

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Im Jahre von Jesu Geburt

Ein Kranz in dessen Mitte eine 3 steht.

„Melchior, wo ist die verdammte Karte?“, brüllte Balthasar.
„Die Karte? Wir haben doch den Stern“, antwortete der Angesprochene kleinlaut.
„Du Idiot. Wir haben TAG. Da leuchtet kein Stern.“
„Mir ist schlecht. Können wir eine Pause machen? Diese Esel machen mich noch verrückt“, murmelte Caspar. Sein Träger grummelte bedrohlich. Er konnte ja auch nichts dafür, wenn sein Herr so selten ausritt.
„Ihr Memmen!“, entfuhr es Balthasar. Warum hatte er sich ausgerechnet für diese beiden Teilhaber entschieden? Er konnte genauso gut alleine vorhersagen und in der Welt umher reisen. Er sollte dringend darüber nachdenken, die Firma nach dieser Reise zu verlassen.
„Wie viel Zeit haben wir noch?“, fragte Melchior ängstlich. Er erinnerte sich noch zu gut an die Vision: „Wenn ihr nicht rechtzeitig kommt und die Geschenke überbringt, habt ihr als Lieferanten versagt und ihr werdet nie, nie wieder einen Auftrag erhalten.“

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Im Jahre 5125

Ein Kranz in dessen Mitte eine 2 steht.„Lieber Weihnachtsmann,
in der Familienchronik steht geschrieben, dass das Weihnachtsfest vor vielen Jahren noch um einiges ereignisreicher war, als heutzutage. Früher gab es wohl noch einen richtigen Baum mit glitzernden Kugeln und leuchtenden Kerzen, gutem Essen und tollen Geschenken. Es heißt sogar, dass an diesem Abend das ein oder andere Haus abgefackelt ist. Ach, was wäre ich gerne ein Teil dieser Zeit gewesen.

Unser Weihnachten ist langweilig. Alle Häuser sind mit Hologramm Bäumen ausgestattet. Zu unserer eigenen Sicherheit. Außerdem soll es so weniger Holzverschwendung geben. Oder so ähnlich. Und das Essen… Naja…
Ich hab in der Chronik auch gelesen, dass dir die Kinder früher einen Wunschzettel geschickt haben. Bei uns läuft das eigentlich so ab: Wir schicken unseren Eltern eine Mail mit unseren Wünschen. Einfach, weil es schneller geht. Von Romantik keine Spur. Ich bin zwar kein Kind mehr, wollte dir aber trotzdem gerne mal schreiben.

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Neues Jahr, neue Geschichten – der literarische Adventskalender 2016

Bunte abstrakt gemalte Weihnachtsbäume sehr farbenfroh.
Bild von: Emma Zecka

Hallo liebe Mitlesende,

aufgrund meines gnadenlosen nicht funktionierenden Zeitplans gibt es diesen Post erst so spät. Mittlerweile müsste bereits das erste Türchen eures Adventskalenders geöffnet sein. Nein, das ist nicht so? Dann seid ihr hier genau richtig.
Aber ich beginne, wie immer, erst einmal von vorne.

Das Motto des diesjährigen Kalenders
Während die Geschichten des letzten Jahres aufeinander aufgebaut haben, gibt es dieses Jahr nur ein Motto unter dem die Kurzgeschichten stehen:

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Im Jahre, als noch keine Zeitrechnung stattfand

Ein Adventskranz in dessen Mitte eine goldene 1 steht.
Bild von: Emma Zecka

Finstere Nacht.
Eine Höhle.
Am Eingang ein Lagerfeuer.
Und zwei Männer, die Kleidung aus Fell tragen.
Beide starren in das Feuer. Der Tag war nicht sehr erfolgreich gewesen. Genauso wie die letzten Wochen und Monate. Also gibt es wieder einmal vegetarische Kost. Essen welches die Männer verschmähen.
Einem der beiden entfährt ein grunzender Laut, der wohl so viel heißen soll, wie: „Immer dieses Grünzeug. Ich will Fleisch. Richtiges Fleisch.“ Der Andere nickt zustimmend.

Die Tiere bleiben schon seit einer langen Weile aus. Vielleicht liegt es an den Temperaturen. Oder am Talent unserer Jäger, wie die Frauen vermuten. Zeternde Geräusche dringen aus dem Inneren der Höhle nach draußen.
Einer der beiden Namenlosen brüllt in Richtung der Höhle. Das Zetern verstummt abrupt. Die beiden Männer blicken sich eindringlich an. So kann das nicht weitergehen. Sie stehen auf.

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