Im Jahre 1950

Ein Kranz in dessen Mitte eine 8 steht.

„Jetzt sagt dem Papa etwas Schönes“, schniefte die Mutter in ihr Taschentuch.
„Frohe Weihnachten“, murmelten wir.
Vater. Was für ein Wort. Natürlich wussten wir, was ein Vater war. Doch war unserer schon ganz lang ziemlich weit weg. Mein älterer Bruder behauptete zwar, er könne sich noch genau an ihn erinnern, aber ich glaube ihm kein Wort. Alle redeten davon, dass er gefallen sei. Als ich fragte, wohin denn, straften mich böse Blicke. Deswegen hatte ich mich auch nicht getraut zu fragen, ob denn sein Knie weh tat und man ihm zumindest ein Pflaster gebracht hätte. Oder warum ihm dann niemand geholfen hatte, wieder aufzustehen. Aber das war alles schon eine Weile her.
Während meine Mutter am Grab verharrte, sahen wir Kinder uns unsicher an.
„Wann gehen wir? Es ist kalt“, fragte mein kleiner Bruder.
„Boris“, zischte ich.

„Ich komme gleich, ja?“, meinte meine Mutter abwesend. Verstohlen schlichen wir uns davon. Obwohl es bereits dämmerte und es dann ziemlich gruselig auf einem verlassenen Friedhof werden konnte, wurde uns doch zu langweilig. Wir kamen ja jede Woche hier her. Und an Feiertagen brauchte Mama meistens etwas länger. Das Geld war dieses Jahr knapp. Boris und ich hatten uns ein Fahrrad gewünscht. Natürlich wäre es viel toller, wenn wir ein eigenes bekommen würden, aber wir ahnten, dass das nicht ging. Um die Aussichten auf ein Fahrrad zu erhöhen, hatten wir uns daher überlegt uns einfach eines zu teilen. Aber unser älterer Bruder war gemein genug um uns die Hoffnungen kaputt zu machen.

„Ein Fahrrad? Na ihr habt Vorstellungen. Außerdem, wenn Mama wirklich eines gekauft hätte, hättet ihr es ja sicher finden müssen. Wir haben ja nur drei Zimmer.“ „Aber es kauft doch nicht Mama. Das macht doch der Weihnachtsmann“, beharrte Boris. Dass es den Mann nicht gab, hatte ich ihm noch nicht erzählt. Und ich wollte es auch weiterhin ein bisschen hinauszögern.
Auf einigen Gräbern brannten Kerzen. Doch wir waren weit und breit die einzigen Besucher auf diesem Friedhof.
„Schau dir mal das Teil an“, meinte Boris und deutete auf ein Grab. Es sah ziemlich verwildert aus. Eine Fläche voller Moos. Das obligatorische Kreuz fehlte. Verdutzt blieb ich stehen. Wer lag hier begraben? Ich trat näher und stellte fest, dass ein Schriftzug unter dem Unkraut hervorlugte. Also musste es wohl doch so etwas wie einen Grabstein geben. Ich beugte mich hinunter und erkannte, dass es sich bei den Pflanzen gar nicht um Unkraut handelte. Die Platte war mit drei großen Töpfen bedeckt, deren Aufgabe wohl darin bestand, Pflanzen zu produzieren, die den Schriftzug bedecken sollten.

Mittlerweile war es fast dunkel geworden. Ich steckte meine Hand aus und hoffte, die Schrift erfühlen zu können. Doch da tauchte ein Lichtschein wie aus dem Nichts auf. Ich sah mich verstohlen um und erkannte, dass das Licht von oben kam. Oben am Himmel leuchteten die Sterne. Doch einer stach hervor.
„Das Glück wird dir begegnen, wenn du es am wenigsten erwartest.“
Was für eine merkwürdige Inschrift.
Ein Schrei erfüllte den Park. Boris und ich sprangen auf und rannten zum Grab unseres Vaters. Dort kniete unsere Mutter. Zitternd.
„Was ist los?“, fragten wir Kinder. Da richtete sie sich auf. Und ein Beutel kam zum Vorschein. Als sie ihn schüttelte, hörten wir die Münzen klimpern,

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