Der Abgrund

Das Hörbuchcover von "Der Abgrund"
Bild von Hörverlag serials

Unter dem Label Hörverlag Serials geht mit Der Abgrund der erste Fiction Podcast des Hörverlags online. Im Juli erschienen jeweils am Freitag in Der Abgrund Playlist (der Link führt zur Playlist bei Spotify) immer zwei neue Folgen des Fiction Podcasts: Fiction deshalb, weil hier eine fiktive Geschichte erzählt wird, die wie ein klassisches Hörspiel aufgebaut ist. Diese Hörspielreihe wurde von Melanie Raabe geschrieben.

Das Interessante an diesem neuen Projekt: Der Abgrund kann kostenlos überall, wo man Podcasts hören kann, verfolgt werden. Auch nachdem die Serie nun abgeschlossen ist, sind die Folgen weiterhin kostenlos verfügbar.

Der Inhalt

Der Inhalt ist schnell erzählt: Vincent, der während seiner Schulzeit zu den Außenseitern gehörte, hat noch eine Rechnung mit der Clique der Coolen seiner ehemaligen Schule offen. Als er zu einer Geburtstagsfeier eingeladen wird, bekommt er die Möglichkeit die Rechnung zu begleichen.

Melanie Raabe greift hier zwei Themen auf, die in der Gesellschaft nicht gerne thematisiert werden. An dieser Stelle kann ich leider nur eines der Themen nennen, weil ich euch sonst spoilern würde. Es handelt sich hierbei um das Thema Geld bzw. gesellschaftlicher Status: Aus der Clique der Coolen scheint etwas geworden zu sein. Alle haben angesehene Positionen in Firmen oder der Politik. Das ihr Geldbeutel daher gut gefüllt ist, muss wohl kaum erwähnt werden.

Vincent hingegen verdient sein Geld damit, Texte zu schreiben. Er wirkt glücklich mit dem was er tut. Doch nehmen ihn die Anderen ernst? Hat er aus ihrer Sicht etwas erreicht? Und was denkt Vincent über die Positionen seiner ehemaligen Mitschüler*innen?Die Handlungsstränge von Der Abgrund sind, im Vergleich zu Melanie Raabes anderen Titeln, verhältnismäßig einfach gehalten. Vermutlich liegt das aber am Format des Podcasts. Die Geschichte soll nämlich innerhalb von zehn Folgen erzählt werden. Melanie Raabe schafft es aber wunderbar, Spannung aufzubauen: Jeden Freitag gab es eine Doppelfolge der Serie, wobei die zweite Folge meist mit einem Cliffhanger endete, der neugierig auf die Fortsetzung der Geschichte machte.

Die Hörspielgestaltung

Besonders spannend finde ich bei Der Abgrund das Zusammenspiel zwischen der Geschichte und der Umsetzung in das Hörspiel. Die Folgen starten immer mit einer Melodie, die einen teils bedrohlichen Beigeschmack hat. Jedes Mal saß ich da und wartete auf den großen Knall. Darauf, dass die Situation eskalierte.

Außerdem finde ich das Hörspiel wirklich gut besetzt. Es gab hier keine/n Sprecher*in, der/die mir irgendwie negativ aufgefallen ist. Einzig und allein die Frauen in der Clique der Coolen konnte ich nicht immer ganz auseinanderhalten, wobei sich das ab der Hälfte des Podcasts etwas verändert hat, weil es hier erste Verdächtige gibt und ich mir nicht mehr alle Namen und dazugehörigen Stimmen merken musste.

Die Länge der Podcast Folgen war sehr gut gewählt. Man hatte meist etwas über eine halbe Stunde Hörzeit. Für mich als Vielhörerin war das fast schon etwas zu wenig, da ich meistens eine halbe bis ganze Stunde am Tag mit einem Hörbuch verbringe.

So wie ich das Format aber wahrnehme, geht es vor allem darum, neue Hörer*innen auf das Verlagsprogramm des Hörverlags, oder auch auf weitere Hörbücher von Melanie Raabe aufmerksam zu machen. Man muss also davon ausgehen, dass interessierte Hörer*innen maximal 45 Minuten investieren, um in eine Doppelfolge reinzuhören. Von daher war die Dauer der Folgen gut abgestimmt und durch die Cliffhanger am Ende der zweiten Folgen wurde hoffentlich das Interesse geweckt, den Podcast weiter zu verfolgen.

An dieser Stelle möchte ich noch auf die Stilmittel eingehen, mit denen im Podcast gearbeitet wird:

Mir ist aufgefallen, dass wir hier sehr viel aus Erzählungen erleben. Charaktere berichten von einer Situation, oder wir erleben, wie Charaktere in einer bestimmten Situation reagieren. Aber es gab aus meiner Sicht wenig aktive Handlung. Also im Grunde das, was Lektor*innen bei Romanen immer anprangern. Hier hat das Stilmittel aber sehr gut gepasst, da nur wenig Zeit blieb, die Geschichte zu erzählen und man sich natürlich auch fragen muss, was man überhaupt als Hörspiel umsetzen kann.

Hier wird also vor allem gezeigt, wie unsere Charaktere auf bestimmte Situationen reagieren, was verdeutlicht, wie angespannt die Situation ist, in der sich unsere Charaktere befinden.

Außerdem wird verstärkend mit Soundeffekten gearbeitet, wie der bereits beschriebenen Melodie, die auch als eine Art Schnitt, zwischen den Szenen verwendet wird.

Zwei weitere Stilmittel haben mir besonders gut gefallen und ich bin mir sehr sicher, dass eines davon überhaupt nicht beabsichtigt war.

Im ersten Stilmittel handelt es sich um die Darstellung von den Gedanken unseres Protagonisten Vincent. Er spricht hier mit einem Gegenüber und wünscht sich einen ziemlich schmerzhaften Ausgang der Szene. Im ersten Moment war ich etwas verwirrt, weil ich dachte, dass wir uns hier in der Gegenwart bewegen und sich die Geschichte schnell erledigt hätte, wenn diese Szene wirklich so enden sollte. Als ich dann aber bemerkt habe, dass es sich um Vincents Gedanken handelt, fand ich die Darstellung ziemlich gut, vor allem, weil wir hier eine andere Perspektive bekommen und Vincent besser kennenlernen.

Das zweite – und vermutlich völlig unabsichtlich gewählte – Stilmittel war die Darstellung des Straßenverkehrs im Hörspiel: Natürlich lässt sich der Straßenverkehr vor allem durch die Geräusche von Autos darstellen. Doch wie überträgt man eine Ampel ins Akustische? Richtig, man nutzt das Tacken, das viele Ampeln in Großstädten von sich geben. Eigentlich ist dieses Geräusch dazu gedacht, dass Blinde oder Sehbehinderte hören können, an welcher Stelle eine Ampel auf sie wartet. (Das Geräusch wird übrigens heller und schneller, sobald die Ampel grün wird). Ich fand es ziemlich cool, dass dieses Geräusch im Hörspiel schon als Standard Geräusch gewertet wurde, um den Straßenverkehr akustisch darzustellen. Das zeigt mir, das tackende Ampeln inzwischen als normal gelten. Leider sind sie dennoch nicht bundesweit in allen Städten vorhanden.

Gesamteindruck

Die Handlung von Der Abgrund war vergleichsweise zu Melanie Raabes bisherigen Geschichten etwas oberflächlich. Allerdings lag das aus meiner Sicht auch hauptsächlich an dem Medium des Hörspiels und den Zielen, die damit verbunden waren: In erster Linie ging es hier darum, Hörer*innen eine spannende, vielleicht kurzweilige Geschichte zu präsentieren. Im besten Fall interessieren sich die Hörer*innen nun für andere Projekte der Autorin oder des Hörverlags.

Melanie Raabe konnte mich nicht nur mit ihrem Spannungsaufbau, sondern auch mit ihrem Schreibstil überzeugen. Gerade in den Dialogen unserer Charaktere ging es ordentlich zur Sache: Fronten wurden geklärt, alte Wunden wurden aufgerissen, was die Situation immer bedrohlicher werden ließ.

Das Zusammenspiel zwischen Inhalt und der Umsetzung ins Hörspiel funktionierte so gut, dass ich mich jeden Freitag auf eine neue Folge von Der Abgrund freute und gespannt war, wie die Geschichte endete.
Aus meiner Sicht ist der Auftakt des Labels Hörverlag Serials also definitiv gelungen.
Der Abgrund kann ich allen empfehlen, die gerne Thriller lesen und herausfinden wollen, ob ihnen das Hörspiel als Medium liegt.

Lieblingszitate:

Vincent: “Ich fasse es nicht, dass sie das Geld wirklich genommen hat.”
Bianca: “Tun sie das am Ende nicht immer?”
(“Der Abgrund”, Folge 9, von Melanie Raabe).

“Wir sind oben und du bist unten. So funktioniert die Welt.”
(“Der Abgrund”, Folge 10 von Melanie Raabe).

Infos zum Hörspiel

Der Abgrund
Geschrieben von: Melanie Raabe
Der Cast:
Andreas Pietschmann – Boris
Anne Müller – Katharina
Bettina Kurth – Bianca
David Wittman – Vincent (jung)
Jannik Schümann – Kai (jung)
Heike Warmuth – Sandra
Lisa Hrdina – Jette
Luise Helm – Liya
Max Urlacher – Vincent
Steffen Groth – Markus
Nebenrollen: Anne Abendroth, Sebastian Walch, Jan Ullmann, Pascal Thinius und Cathrin Bonhoff
Bewertung: 4 von 5 Herzen

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