Im Jahre 1968

Ein Kranz in dessen Mitte eine 5 steht.

„Mann, alles so entspannt hier.“
Reggae Musik dröhnte in einem vollgequalmten Wohnzimmer. Von Weihnachtsstimmung keine Spur. Wozu auch? Hier fanden sich die Menschen ein, die Weihnachten boykottierten. Ein Fest, dass nur von der Industrie erfunden wurde. Coca Cola, das Unternehmen, das wahrscheinlich einen Deal mit seriösen Spielzeugherstellern gemacht hatte. Wer wusste das schon so genau…

Tina befand sich im Garten. Sie trug ein dickes Sweatshirt, dass zwar nicht wirklich vor der Kälte schützte, aber um einiges gemütlicher war, als der Hosenanzug, den sie zu Hause hätte tragen müssen.

„Willst du nicht rein kommen?“, Bob war unbemerkt neben ihr aufgetaucht. Tina konnte sich immer noch nicht daran gewöhnen, dass er sich nach dem gleichnamigen Reggae Sänger benannt hatte. Schließlich hatte sie ihn seit einer gefühlten Ewigkeit unter seinem alten Namen gekannt.

Vor einer Weile hatten er und Tina die Kommune entdeckt. Ein Haufen Menschen, die schwer in Ordnung waren. Doch gingen sie Tina mittlerweile auf die Nerven. Immer nur redeten sie davon, die Welt erobern zu wollen. Doch statt sie endlich zu entdecken, saßen sie im Wohnzimmer, rauchten und erzählten sich all die Abenteuer, die da draußen warteten.
„Wir sollten mal wieder lüften, oder?“, fragte Bob grinsend.
„Gut möglich“, lächelte Tina, wandte den Blick ab gen Himmel. Die Nacht war sternenklar. Einer von ihnen leuchtete am hellsten.
„Was wünschst du dir für das neue Jahr?“, fragte Bob unvermittelt.

Tina zuckte zusammen. Es waren doch noch ein paar Tage bis dahin. Sie dachte an die Wünsche ihrer Eltern. Natürlich nur zu Tinas Besten. Ein Jura- oder Medizinstudium wäre ganz nett und auch angebracht. Schließlich gab es viele Verwandte mit guten Kontakten. Und Tina war auch ziemlich gut in der Schule. Doch was wünschte sie sich?
„Naja…“, meinte Bob um die Stille zu überbrücken.
„Ich will reisen“, flüsterte sie.
„Hä?“

„Reisen, die Welt entdecken. Nicht nur in irgendeinem Wohnzimmer sitzen und davon reden. Das kann ich auch daheim“, entgegnete Tina von einer Euphorie gepackt.
„Aha. Du findest also, wir reden zu viel?“, fragte Bob.
„Ich wusste, dass du das nicht verstehst“, seufzte Tina. Bob wartete nur darauf, bis er endlich 18 war und ein WG Zimmer hier im Haus beziehen konnte.
„Ich geh dann mal rein“, meinte er kleinlaut. Erste Regel: Meinungsverschiedenheiten wurden mit der Gruppe ausgetragen. Das Ziel dahinter war ganz simpel: So konnte nämlich jeder aus der Gruppe ganz offen und frei seinen Senf dazu beigeben.

Tina rollte genervt mit den Augen, was Bob bei der Dunkelheit natürlich nicht erkennen konnte. Er öffnete die Tür, Musik und Rauch strömten nach draußen und Tina blieb alleine zurück.
Ihr Blick fiel wieder auf den Stern, der so hell am Himmel leuchtete. Sie wünschte, sie könnte ihn berühren. Langsam kroch ihr die Kälte in die Knochen. Sie war mit Bob hier. Und der wollte sicher noch etwas bleiben. Also musste sie sich wohl oder übel bewegen. Außer natürlich sie wollte nach drinnen gehen und sich ihre Jacke holen, während Bob die versammelte Mannschaft gerade über das merkwürdige Gespräch aufklärte. So lief das halt bei ihnen. Nein, Tina wollte laufen. Sich bewegen. Und die Welt entdecken.

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