Inklusion ist für mich…

Ich stehe an einem sonnigen Tag im Garten. Unterhalb des Bildes steht der Satz: "Inklusion ist für mich..." Vervollständigt wurde der Satz von mir mit: "wenn Behinderung im Alltag keine Rolle mehr spielt." Auf der linken Seite sind die Logos des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Region Freiburg und des Selbsthilfebüro Freiburg Breisgau-Hochschwarzwald bei denen auch die Bildrechte liegen.
Bild von Der Paritätische und Selbsthilfebüro Freiburg

Kürzlich wurde die Ausstellung “Inklusion ist für mich…” in der Freiburger Stadtbibliothek eröffnet. Menschen konnten Bilder von sich einreichen und den Satz “Inklusion ist für mich…” vervollständigen. Die Bilder und Statements könnt ihr euch noch bis zum 02.07. im Untergeschoss der Stadtbibliothek am Münsterplatz in Freiburg anschauen. Danach geht die Ausstellung auf Wanderschaft, teils innerhalb Baden-Württembergs aber auch bundesweit.

Anlässlich der Ausstellung wurde ich von Baden TV Süd interviewt.
In diesem Artikel nutze ich die Gelegenheit um etwas über den Hintergrund meines Statements zu erzählen. Neugierig?

 

Warum Inklusion alle Menschen betrifft

Oft habe ich den Eindruck, dass Menschen mit dem Begriff Inklusion nichts anfangen können, oder ihn direkt mit Menschen mit Behinderung in Verbindung bringen. Dabei geht es bei Inklusion vor allem darum, dass alle Menschen Teil der Gesellschaft sind. Das betrifft also nicht nur Menschen mit Behinderungen. Es geht nicht darum, zu schauen, was Menschen voneinander unterscheidet, sondern die Gemeinsamkeiten zu finden und sich darüber klarzuwerden, was Menschen brauchen, um Teil der Gesellschaft zu werden.

Ihr ahnt es wahrscheinlich schon: Viele Menschen haben unterschiedliche Bedürfnisse. Es ist also gar nicht so einfach, alle mit ins Boot zu holen. Umso wichtiger ist es, auf das Thema Inklusion aufmerksam zu machen.

Inklusion ist für mich, wenn Behinderung im Alltag keine Rolle mehr spielt

Häufig stoßen Menschen mit Behinderung im Alltag auf Barrieren. Im öffentlichen Nahverkehr, im Arbeitsleben, oder auch in der Schule oder Ausbildung. Wenn ich Barrieren aufzählen müsste, glaubt mir, der Artikel wäre lang und wahrscheinlich bei weitem nicht vollständig. Ich kann also gut nachvollziehen, wenn sich Menschen bei meinem Satz an den Kopf fassen und sich verzweifelt fragen, wie lange es denn noch dauern soll, bis die Behinderung im Alltag keine Rolle mehr spielt.

Was mir im Alltag auffällt
Häufig begegnen mir unsichere Menschen dann, wenn man gezwungenermaßen am selben Ort ist: Schule, Studium oder Arbeit. In erster Linie sind wir da, um Wissen zu erwerben, aber nicht primär um uns kennenzulernen und freiwillig Zeit miteinander zu verbringen. Wir sollten uns miteinander arrangieren, um gemeinsam an ein Ziel zu kommen. Alles, was dabei hilft, ein Ziel zu erreichen, ist herzlich willkommen. Alles, was erst einmal nach Arbeit aussieht, steht man, je nach Person, kritisch oder neugierig gegenüber.

Die Sache mit der Freizeit

Meine Hoffnung ist die Sache mit der Freizeit: Hier begegnen wir uns, weil wir ein gemeinsames Hobby haben und dieses Hobby miteinander teilen wollen. Es geht also primär um den Austausch über gemeinsame Interessen. Als ich meinen Satz formuliert habe, ist mir in erster Linie der Bücherstammtisch eingefallen. Hier ist es völlig egal, wie wir unsere Bücher konsumieren. Die Hauptsache ist: Wir lesen oder hören und tauschen uns darüber aus. Die Inhalte stehen im Vordergrund und nicht die Tatsache, dass die Hörbuchfans unserer Gruppe momentan noch in der Unterzahl sind.

Immer wieder habe ich von Menschen mit Behinderung gehört, dass sie gerade über eine gemeinsame Leidenschaft Kontakte und teils auch langjährige Freundschaften knüpfen konnten. Natürlich ist es kein Patentrezept. Je leistungsbezogener das Hobby ist, desto schwieriger wird es wahrscheinlich auch den Platz in der Gruppe zu finden.

Was ich mir wünsche

Meine Wünsche beziehen sich vor allem auf drei Gruppen:

Menschen in der Politik:

Seit ich in einer Beratungsstelle für Menschen mit Behinderungen arbeite, fällt mir auf, wie groß die Spanne ist, zwischen dem was die Politik gerne möchte und wie es in der Praxis ankommt. Häufig sind Dinge in der Theorie vielleicht gut gedacht, scheitern aber an der praktischen Umsetzung. das liegt nicht nur an langen Prozessen, sondern auch daran, dass Menschen, die in der Politik sind, erst einmal bewusst gemacht werden muss, wo es in der Praxis hakt. Schließlich sieht die Theorie ja gut aus. Warum also, beschweren sich denn alle? Was ich mir also wünsche: Mehr Offenheit für die Erfahrungen in der Praxis. Regelmäßige verpflichtende Besuche in Einrichtungen oder Behörden, die Gesetze in der Praxis umsetzen sollen.

Menschen ohne Behinderung:

Häufig erlebe ich Unsicherheiten von Menschen ohne Behinderungen. Zum einen liegt das daran, dass sie nicht wissen, wie und was sie ihr Gegenüber fragen dürfen. Zum anderen haben sie manchmal auch schlechte Erfahrungen mit Menschen mit Behinderungen gemacht  Jede Person hat mal einen schlechten Tag. Wenn eine Person im zehn Minuten Takt Hilfe angeboten bekommt, die sie nicht braucht, weil sie weiß, was sie will, wird sie beim zehnten Mal wahrscheinlich nicht mehr freundlich sein.

Da ich recht lang unterwegs bin, wenn ich zur Arbeit fahre, passiert es mir häufig, dass mir Hilfe angeboten wird, obwohl ich sie nicht immer brauche. Ich freue mich dann, weil es mir zeigt, dass Leute auf das reagieren, was sie um sich herum wahrnehmen und nicht nur mit sich selbst beschäftigt sind. Dennoch gibt es ein paar Do’s und Don’ts, die ihr beachten solltet, wenn ihr anderen Menschen Hilfe anbieten möchtet.

Menschen mit Behinderungen:

Je nachdem wie sich die eigene Behinderung im Alltag bemerkbar macht und welche Erfahrungen bis dahin gemacht wurden, ist der Wunsch wahrscheinlich sehr schwer umzusetzen. Ich wünsche mir, dass Menschen mit Behinderung offen bleiben und ihren Optimismus nicht verlieren. Das ist leichter gesagt als getan, weil es oft zu Konflikten in der Kommunikation oder bezüglich Barrieren im Alltag kommen kann. Was mir im Alltag aber schon viel geholfen hat ist, nicht alles auf meine Behinderung zu beziehen.

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Die fünf Artikel, die in dieser Rubrik zuletzt online gegangen sind:

5 Dinge, die ich gerne vor meinem Studium gewusst hätte: Part 5 – Dass vieles heißer gekocht, als gegessen wird.
Barrierefreiheit auf der Frankfurter Buchmesse
5 Dinge, die mich an meiner Sehbehinderung stören.
Wie lese ich eigentlich?
Wie schreiben Blinde?

Zu meiner Person:

Ich bin von Geburt an auf dem linken Auge blind und auf dem rechten Auge hochgradig sehbehindert. Seit 2017 beträgt mein Sehrest 2%, was bedeutet, dass ich nach dem Gesetz als blind gelte. In der Praxis heißt dass: Ich…

  • Habe Mühe mich in unbekannten oder schlecht beleuchteten Räumen zu orientieren.
  • Erkenne mir bekannte Personen nicht im Vorbeigehen.
  • Laufe mit einem Blindenlangstock (von mir als Elderstab bezeichnet) pendelnd durch die Weltgeschichte.
  • Kann keinen Blickkontakt mit meinem Gegenüber aufnehmen und mit der Mimik meines Gegenübers nichts anfangen.
  • Kann je nach Lichtverhältnissen und Abstand, erkennen, dass Personen neben oder gegenüber von mir sitzen, kann aber keine Angaben über ihre Mimik oder Gestik machen.

Achtung: Mit den Prozenten und dem Sehrest verhält es sich sehr subjektiv. Nicht alle Menschen, die 2% sehen müssen beispielsweise einen Langstock zur Orientierung nutzen. Wenn ihr euch unsicher seid, wie viel Personen sehen, fragt am besten einfach nach.

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