“Song für Mia” vs. “Die Heiland”: Wo wird Blindheit realistischer dargestellt?

Hände, die eine Filmklappe in der Handh alten. In der Mitte der Filmklappe steht Geschaut.
Foto: Emma Zecka

Hallo zusammen,

heute möchte ich einen Film und eine Serie miteinander vergleichen, die sich einer ähnlichen Thematik widmen. Und zwar erwarten uns in beiden Produktionen blinde oder vorübergehend blinde Protagonisten.
Und das Tolle ist der Spielfilm Song für Mia und die erste Staffel der TV-Serie Die Heiland – Wir sind Anwalt könnten nicht unterschiedlicher sein.

Zuerst werde ich euch erzählen, um was es in dem Film bzw. der Serie geht und fasse kurz zusammen, wie mir die beiden Produktionen gefallen haben. Danach komme ich dann zum Vergleich.

Song für Mia (Spielfilm)

Hier geht es um Sebastian (gespielt von Tim Oliver Schultz), der kurz vor seinem musikalischen Durchbruch steht. Doch dann hat er einen Unfall und wird von heute auf morgen blind. Das wirft den Musiker ziemlich aus der Bahn. Und als wäre das nicht genug, stellen seine Eltern auch noch eine Assistenz ein, weil sie glauben, dass Sebastian aufgrund seiner Erblindung nicht alleine im Alltag zurechtkommen wird. Seine Assistentin Mia (gespielt von Paula Kalenberg) ist anders, als die Menschen, die Sebastian bisher kennengelernt hat. Sie macht sich nicht viel aus Partys, sondern geht viel lieber spazieren oder plant Reisen. Und da stellen sich die Fragen: Kommen die beiden überhaupt miteinander zurecht? Und was wird aus Sebastians Musikkarriere?

Erstausstrahlung: Samstag 16.02. um 20:15 Uhr in der ARD.

Kurzmeinung zum Film:

Der Film hat mich vor allem durch seine beiden Hauptdarsteller Tim Oliver Schultz in der Rolle des Sebastian und Paula Kalenberg in der Rolle der Mia überzeugt. Beide Schauspieler waren auch schon im Kinofilm Systemfehler – Wenn Inge tanzt in den Hauptrollen zu sehen, der eine ähnliche Geschichte erzählt – nur eben ohne Blindheit. Beide Schauspieler konnten ihre Rollen für mich glaubhaft transportieren und haben für eine gute Dynamik gesorgt.

Obwohl durch das Konzept des Spielfilms deutlich mehr Sendezeit zur Verfügung stand als bei Die Heiland – Wir sind Anwalt, blieb die Handlung vergleichsweise flach und konnte mich auch aufgrund anderer Aspekte, auf die ich im Laufe des Beitrags weiter eingehen werde, leider nicht überzeugen.

Die Heiland – Wir sind Anwalt

In dieser Serie geht es um die blinde Anwältin Romy Heiland (gespielt von Lisa Martinek), die in der ersten Folge ihre eigene Kanzlei eröffnet. Aufgrund ihrer Blindheit braucht sie bei manchen Aufgaben Unterstützung. Daher sucht sie eine Arbeitsplatzassistenz. Ada Holländer (gespielt von Anna Fischer), eigentlich ein hoffnungsloser Fall, bewirbt sich auf die Stelle und beginnt ab der ersten Folge mit einer Probebeschäftigung.

In den ersten sechs Flogen geht es nicht nur um den Alltag einer Anwältin, also die zu lösenden Fälle, sondern auch um die beiden Protagonistinnen Romy und Ada: Wie kommen sie miteinander aus? Können sie gut zusammenarbeiten? Welche Themen beschäftigen sie außerhalb der Arbeit?
Erstausstrahlung: September 2018 wöchentlich um 20:15 Uhr in der ARD.

Ihr könnt alle Folgen auch in der ARD Mediathek nachschauen. (Die Folgen gibt es auch mit Audiodeskription).

Kurzmeinung zur Serie:

Das Thema Behinderung wird hier in einen normalen Kontext eingebaut. In jeder Folge gibt es einen neuen Fall, der im Mittelpunkt steht. Nebenbei muss Protagonistin Romy dann noch die Anforderungen bewältigen, die ein Alltag als fast blinde Anwältin so mit sich bringen.

Was mir sehr gut gefallen hat, war die Mischung der fall- und behinderungsspezifischen Aspekte. Nie hat eines von beiden Komponenten überwogen.
Was ich allerdings etwas schade fand, aber ich nehme mal an, dass es aufgrund der kurzen Sendezeit von einer halben Stunde nicht anders zu lösen war, war die Tatsache, dass die Fälle oft nur oberflächlich dargestellt wurden und zu einem raschen Ende kamen. Ich habe ein paar Folgen mit einem Krimifan geschaut, dem die Geschichte hier und da auch etwas zu schnell aufgelöst wurde.

Gut hat mir gefallen, dass in den ersten sechs Folgen tolle Handlungsstränge gelegt werden konnten, die eine zweite Staffel durchaus ermöglichen. Dennoch bleiben wir Zuschauer nicht im Ungewissen und die erste Staffel konnte ohne Cliffhänger beendet werden.

Hauptdarstellerin Lisa Martinek und Pamela Pabst, auf deren Erlebnissen die Serie berht, in der Talkshow 3nach9.

Wie wird in beiden Produktionen das Thema Blindheit dargestellt?

Ich unterteile meinen Vergleich in unterschiedliche Kriterien.

Die Hauptdarsteller und die Darstellung bzw. Umsetzung ihrer Rollen

In beiden Produktionen wurden die Hauptdarsteller mit Schauspielern ohne Behinderung besetzt.
Doch die Besetzung entpuppte sich keinesfalls als Nachteil. Sowohl Tim Oliver Schultz als auch Lisa Martinek überzeugen in ihren Rollen und stellten ihre Rollen glaubhaft dar.

Selbst auf kleinste Details wurde geachtet wie z.B.: Blinde können keinen Blickkontakt zu ihren Gesprächspartnern aufnehmen und schauen daher häufig nur in die Richtung des Gesprächspartners. Häufig ist die Körperhaltung auch eher Richtung Boden geneigt. Dieses Detail wurde von Lisa Martinek wirklich gut umgesetzt und ich stelle es mir unheimlich schwierig vor, als sehende/r SchauspielerIn nicht auf optische Reize reagieren zu dürfen.

Doch sobald es um die Darstellung der Protagonisten in deren Alltag ging, unterscheiden sich beide Produktionen sehr deutlich voneinander:

Song für Mia

Tim Oliver Schultz verkörperte in Song für Mia einen unselbstständigen Blinden was hauptsächlich dem Drehbuchs geschuldet war.
Obwohl der Fokus hier auf Unselbstständigkeit lag, was an sich keine schöne Darstellung ist, hat der Schauspieler das Klischee des Blinden wunderbar umgesetzt und z.T. sogar überspitzt dargestellt. Ich schwankte häufig zwischen beeindruckt, weil die Umsetzung gut war und Entsetzen, weil es wirklich Drehbuchautoren gibt, die ein Klischee für eine Geschichte nutzen und einer breiten Öffentlichkeit ein falsches Bild von Blindheit vermitteln.

Protagonist Sebastian stolperte förmlich durch die Kulissen. Zu Beginn ist das ja noch verständlich. Allerdings wurde hier überhaupt keine Entwicklung in der Orientierung dargestellt, die aber eintritt, je länger man blind ist. Daher begann mich das Herumgestolpere irgendwann ziemlich zu nervne, weil sich unsichere oder unselbstständige Blinde eher übervorsichtig bewegen, aber nicht laufend Kettenreaktionen in den eigenen vier Wänden auslösen.

Sebastian wurde quasi blind in ein funktionierendes System geworfen. Anstatt dafür zu sorgen, dass er schnell in ein selbstständiges Leben zurückkehren konnte, entschied man sich, die Rolle darauf anzulegen, dass er bei jedem Arbeitsschritt unterstützt werden musste. Das ging sogar soweit, dass er eine Szene, in der eine Frau, ihre Telefonnummer in sein Smartphone einträgt, weil er das ja angeblich aufgrund seiner Blindheit nicht mehr kann, mit den Worten: “Das gehört aber in meine Hosentasche!” kommentiert.

Dabei sind inzwischen nicht nur Apple sondern auch Samsung Smartphones mit Sprachausgaben ausgestattet, die es Blinden ermöglichen ihr Smartphone selbstständig zu bedienen.

Die Heiland – Wir sind Anwalt

Lisa Martinek hingegen hatte das Glück, dass Wert darauf gelegt wurde, dass sie eine selbstständige Blinde spielte. Man gab ihr hier Hilfsmittel an die Hand, die das Bild der Selbstständigkeit unterstützten. So besuchte sie Klienten beispielsweise alleine und bewegte sich mit einem Blindenlangstock fort. Natürlich können Geburtsblinde schon an der Akustik hören, dass sie die Pendelbewegung nicht 1:1 umsetzt, aber das war auch nicht notwendig, weil der Sinn der Handlung deutlich wurde, nämlich mithilfe des Langstocks selbstständig von A nach B kommen zu können.

Außerdem gab es immer wieder Momente, in denen sie Anrufe von Klienten bekam, oder selbstständig an ihrem Computer etwas recherchieren musste. Und auch hier wurde auf Vergrößerungen oder Sprachausgaben zurückgegriffen, die teils für lustige Situationskomik sorgten.

Die Handlung

Auch in der Handlung wurde unterschiedlich mit dem Thema Blindheit oder (drohende) Erblindung umgegangen:

Song für Mia

Kommen wir zuerst zu Song für Mia. Hier gibt es für mich zwei massive Kritikpunkte:
Zum einen geht es um das Thema Blindheit allgemein. Durch Sebastian wird deutlich, welches Bild die Produzenten oder Drehbuchautoren des Filmes von Blinden haben. Und dieses Bild scheint relativ veraltet. Man gibt Sebastian eine Alltagsassistenz an die Hand, was völlig realitätsfern ist.

Alltagsassistenzen bekommen ausschließlich Personen mit einem Pflegegrad (früher Pflegestufe). Sebastian hingegen ist einfach nur blind, könnte aber mit den notwendigen Hilfsmitteln ein selbstständiges Leben führen.

Es wäre also von der Handlung her sinnvoller gewesen, herauszuarbeiten, was er benötigt, um wieder ein selbstständiges Leben führen zu können. Stattdessen gab man ihm Mia an die Hand, damit der Blindheits-Handlungsstrang versorgt war und man den Musik-Handlungsstrang weiter ausbauen konnte.

Zum anderen störte mich die Darstellung der Blindheit bezogen auf unseren Protagonisten Sebastian. Er wird von einem Moment auf den anderen blind. Da ist es natürlich verständlich, dass er sich nicht freudestrahlend auf die neue Herausforderung in seinem Leben stürzt, nämlich trotz Blindheit ein selbständiges Leben zu führen. Er hadert  mit seinem Schicksal und steht seinem Umfeld erst einmal feindselig gegenüber, da ihm die Bemutterung vor allem seiner Eltern auf die Nerven gehen. Und auch Mia empfängt er nicht mit offenen Armen. Doch die beiden scheinen sehr schnell – für mich beinahe zu schnell – miteinander auszukommen.

Mir fehlte bei Sebastian die Tiefe und die Auseinandersetzung mit dem Thema Blindheit. Er schien sich seinem Schicksal, fortan ein unselbstständiges Leben führen zu müssen, zu beugen und damit wurde die Frage wie man mit einer plötzlichen Erblindung umgeht, viel zu einfach und zu platt beantwortet.

Die Heiland – Wir sind Anwalt

In Die Heiland – Wir sind Anwalt hingegen merkte man, dass vorab sehr gut recherchiert wurde. So baute man, wie oben bereits beschrieben, nicht nur Hilfsmittel in die Handlung ein, sondern setzte sich kritisch mit dem Thema Blindheit auseinander. So stand vor allem die Frage im Mittelpunkt, wie das Zusammenspiel zwischen Romy Heiland und ihrer Arbeitsassistenz Ada Holländer läuft: Was gehört überhaupt zu Adas Aufgabenbereich? Wo nutzt Romy ihre Assistenz aufgrund von Bequemlichkeit vielleicht auch aus?

Inwiefern darf sich Ada in Arbeitsschritte einmischen wie beispielsweise in Gespräche mit den KlientInnen? Alles Fragen, die sowohl blinde Arbeitnehmer betreffen als auch viel Stoff für eine interessante Darstellung bieten.

Vor allem gefiel mir hier aber, dass Romy Heilands Blindheit nicht im Mittelpunkt der Handlung steht. Natürlich wird sie aufgrund ihrer Blindheit immer wieder vor Herausforderungen gestellt, wie z.B. von KollegInnen oder KlientInnen ernst genommen zu werden, aber die Serie zeigt vor allem, dass Romy als Protagonistin nicht mit ihrer Blindheit gleichzusetzen ist, sondern aufgrund ihres Charakters eine interessante Figur darstellt, über die man bzw. in dem Fall ich, mehr erfahren möchte.

Und somit lebt die Serie vor allem durch die unterschiedlichen Charaktere und nicht durch die klischeehafte Darstellung von Randgruppen:
Romy ist rational und nüchtern. Ihre Gefühle hat sie aufgrund ihres Berufes in einer sicheren Schachtel versteckt, die sie nur sehr selten hervorholt.
Ada hingegen ist das pure Gegenstück: Sie ist emotional und schafft es kaum, ihr Temperament zu bändigen. Und das macht die Beziehung zwischen den beiden Protagonistinnen so spannend, weil sie aufgrund ihrer unterschiedlichen Charakterzüge immer wieder aneinander geraten.

Die Produktion an sich

Beide Produktionen waren nicht primär auf blinde oder sehbehinderte Zuschauer ausgelegt und ähnlich visuell unterwegs.
Allerdings gibt es auch hier einen klaren Pluspunkt für Die Heiland – Wir sind Anwalt. Hier gab es nämlich sowohl in der oben verlinkten Mediathek als auch im TV die Möglichkeit, sich die Folgen mit der Audiodeskription anzuschauen. Bei der Audiodeskription gibt es einen Erzähler bzw. eine Erzählerin, die das beschreibt, was zu sehen ist, wenn nicht gesprochen wird. Aber nicht etwa ausführlich und ausschweifend, sondern gut auf den Punkt gebracht Die Audiodeskription wurde von der blinden Anwältin Pamela Pabst getestet, auf deren Erlebnissen das Drehbuch der Serie geschrieben wurde.

Song für Mia war zwar von der Beleuchtung her gut, aber aufgrund der Szenenwechsel und unklarer Darstellung der Szenen für mich nicht immer ganz so leicht zu durchschauen. Zudem fehlte mir im Film allgemein etwas an Dynamik, die zwar durch die tolle Besetzung der Hauptdarsteller und der Filmmusik stellenweise gut aufgefangen werden konnte, jedoch erlebte ich große Strecken des Filmes als zäh oder eine einzige Wiederholung.

Mein Fazit

Nach Club der roten Bänder scheinen die Themen Behinderung und (drohende) Erkrankung im Film und Fernsehen angekommen zu sein. Allerdings zeigt mein Vergleich, wie wichtig es ist, die darzustellende Geschichte gut zu recherchieren. Produktionen wie Die Heiland – Wir sind Anwalt zeigen, dass es kein Ding der Unmöglichkeit ist, an wesentliche Informationen zur Entwicklung des Charakters mit Behinderung zu kommen.

Ich finde es immer unglaublich schade, wenn Produktionen wie Song für Mia zwar durch tolle Hauptdarsteller punkten können, aber auch dafür sorgen, dass die breite Öffentlichkeit ein falsches Bild von Blinden (oder Menschen mit anderen Behinderungen) bekommt. Hier habe ich dann immer das Gefühl, dass erst einmal wieder gegen die falsche Darstellung angekämpft werden müsse und das, obwohl man sie mit einfachen Mitteln hätte vermeiden können.

Und Du?

Hast Du Song für Mia oder vielleicht sogar Die Heiland – Wir sind Anwalt gesehen?
Wie haben Dir die Produktionen gefallen?
Inwiefern beeinflussen solche Produktionen Dein Bild von Menschen mit Behinderungen?

4 Gedanken zu „“Song für Mia” vs. “Die Heiland”: Wo wird Blindheit realistischer dargestellt?“

  1. Hallo,
    also, dieses "Song für Mia" klingt doch richtig nach "Behindertenfilmen", wie wir es kennen. Ein gesunder Protagonist erleidet eine Behinderung, und kommt dann gar nciht zurecht oder so ein bisschen … bleibt auf jeden Fall auf dieser Stufe kurz nach dem Unfall stehen. Den Plot find ich mittlerweile überstrapaziert.
    Wesentlicher spannender ist doch, wie sieht das normale Leben aus, wenn man sich daran gewöhnt hat (oder schon so geboren ist). Aber das gibt plottechnisch dafür nciht genug her, denk ich mal.
    Die Heiland-Serie hört sich demgegenüber mal richtig gut an.
    Danke für den Vergleich, es wr sehr spannend zu lesen
    Daniela

    Antworten
  2. Hallo Evy,

    es freut mich sehr, dass Dir der Artikel gefallen hat. Ich war mir echt nicht sicher, ob der Beitrag hier gut ankommt, weil die beiden Produktionen wohl eher kleinere Zielgruppen ansprechen.

    vielen Dank für Deine Rückmeldung.

    Ich hoffe, Du hattest einen guten Start in die neue Woche!

    viele Grüße

    Emma

    Antworten
  3. Liebe Daniela,

    ja, "Song für Mia" war schon echt knifflig.Ich stimme Dir vollkommen zu: Es ist viel spannender, einen Charakter bei seiner Entwicklung zu beobachten. Und ich bin echt noch etwas unschlüssig, ob das "Umgang mit der Behinderung"-Thema wirklich zu wenig für eine spannende Handlung her gibt, oder ob es viele Produzenten / Drehbuchautoren einfach nicht schaffen, das Thema gut darzustellen.

    Ja, "Die Heiland" ist wirklich sehr gut gelungen. Ich hoffe, dass es eine zweite Staffel geben wird (und ich es rechtzeitig mitbekomme 😀 ).

    viele Grüße und ich hoffe, Du hattest ebenfalls einen guten Start in die neue Woche!

    Emma

    Antworten

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