Adriana Popescu spricht über “Mein Sommer auf dem Mond” und das Schreiben

Foto: Adriana Popescu

Über die Autorin 
Adriana Popescus Laufbahn als Autorin begann beim Fernsehen. Und zwar als Drehbuchautorin unter anderem für Produktionen der ARD.
Inzwischen veröffentlicht sie hauptsächlich Romane in der Erwachsenen- und der Jugendliteratur. 2015 feierte sie mit Ein Sommer und vier Tage ihr Debüt als Jugendbuchautorin. Im März diesen Jahres ist ihr aktueller Roman Mein Sommer auf dem Mond erschienen. Und somit wird es Zeit für ein neues Interview.
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Unser Interview zu Ein Sommer und vier Tage. 

Bild von: A. Mack

Das Interview 
Liebe Adriana, 2016 warst Du das erste Mal hier auf diesem Blog in einem Interview vertreten. Wie hat sich Dein Leben seither verändert?
Ich glaube, inzwischen sind drei oder vier weitere Romane von mir erschienen, aber ansonsten ist alles noch wie damals. Ich schreibe, ich plotte, ich plane neue Projekte. Das Schreibleben ist noch immer sehr gut zu mir und macht wahnsinnig viel Spaß.
Als Vorbereitung für das Interview habe ich mich bei ein paar Blogger*innen umgehört und gefragt, was sie Dich schon immer einmal fragen wollten. Und da kam der Klassiker: Woher nimmst Du Deine Ideen? Wird aus jeder Idee ein eigener Roman oder kannst Du manche Ideen auch zusammenfügen und in einer Geschichte unterbringen?
Einige Leute nehmen ja an, ich würde über ein Ideenfass ohne Boden verfügen. Ich wünschte, dem wäre so. Aber tatsächlich kommen mir die meisten Ideen im Alltag. Beim Einkaufen, in Gesprächen mit Freunden oder in der Bahn. Ich denke, wenn man mit offenen Augen durchs Leben geht, entdeckt man oft Geschichten, die sich zwischen den Buchdeckeln ganz gut machen würden. Es gibt oft eine Grundidee für den Roman, aber oft haben sie ja mehrere Storylines. Zum Beispiel geht es ja in vielen Romanen vordergründig um die Liebe, aber die Protagonistin muss auch mit ihren Problem in der Familie, dem Job oder mit Krankheiten klarkommen. Da lassen sich schon mal mehrere Ideen verweben.
Du bist nun hauptberuflich Autorin. Wie sieht Dein Arbeitsalltag aus? Kannst Du pauschal sagen, wie viele Seiten Du am Tag schreibst?
Obwohl ich inzwischen einen ziemlich strikten Schreibplan habe, kann ich nicht sagen wie viele Stunden oder Seiten ich schreibe. Schreiben ist und bleibt kreativ und manchmal ist Muse eben außer Haus und die Motivation krankgeschrieben. Dann kann ich nicht sagen: So, heute schreibst du vier Stunden.
Ich setze mir andere Tagesziele. Eine bestimmte Wörteranzahl, die ich erreichen will – allerdings variiert sie täglich. Gerade habe ich eine neue Technik für mich entdeckt, die mir beim Erreichen der Deadline enorm hilft und den Druck von mir nimmt.
Verarbeitest du Persönliches in Deinen Romanen?
Ich denke schon. Das mögen auch Kleinigkeiten sein. In all meinen Romanen findet sich auch ein Stück Popescu. Aber autobiographisch wird es nicht, dafür ist mein Leben einfach nicht aufregend genug.
Dein aktuelles Jugendbuch heißt „Mein Sommer auf dem Mond“ und ist im März erschienen. Um was geht es in der Geschichte? 
Um vier Jugendliche, die einen Sommer in einer Therapieanstalt auf Rügen verbringen und dabei eine Menge über sich rausfinden und sich ihren Dämonen stellen müssen.
Diesmal haben wir in Deinem Roman statt zwei Protagonisten, vier Charaktere, die im Mittelpunkt stehen. Wie hast Du die Charaktere entwickelt? Welche Tipps hast Du, damit kein Charakter in der Geschichte zu kurz kommt?
Es war von Anfang an klar, dass wir vier Figuren haben. Allerdings denke ich da immer noch sehr filmisch. Sprich zwei Hauptfiguren nämlich Fritzi und Basti, plus die ‘supporting roles’ Sarah und Tim. Sie sind zwar alle vier sehr wichtig, allerdings nicht alle gleichgestellt. Wie mit Nebenrollen in Filmen. Der Fokus lag klar auf Fritzi und Basti, was man auch daran merkt, dass sie mehr ‘Zeit’ in der Geschichte bekommen, als die anderen beiden. Dennoch glaube ich, erfahren wir über alle vier genau die Dinge, die für die Story wichtig sind. Ich arbeite mit Karteikarten und lege die dann auf dem Boden aus, jeder Charakter kriegt eine eigene Farbe zugeteilt, dann sehe ich genau, wieviel Szenen sie haben.
Unsere vier Astronauten haben unterschiedliche psychische Probleme. Wie bist Du bei der Recherche vorgegangen? Wie tief bist Du inhaltlich in die Krankheitsbilder eingestiegen?
Ich habe sehr viel mit Betroffenen gesprochen, mit Jugendlichen, die sich aktuell in Therapie befinden und mit Angestellten z.B. aus einer Psychiatrie, aber auch mit Eltern, deren Kinder erkrankt sind.
Vieles davon hat den Weg in den Roman gefunden, nur nicht die Namen. Die Krankheitsbilder sind sehr komplex, anders als bei einer Grippe. Es gibt auch keinen typischen Verlauf, der von allen Patienten gleich wahrgenommen wird. Ich habe nicht Jugendlichen gesprochen, die beide die gleiche Diagnose bekommen haben und dennoch von komplett unterschiedliche Problemen gesprochen haben. Auch der Verlauf der Therapie und Krankheit lief bei ihnen komplett anders, obwohl sie auf dem Papier die gleiche Krankheit haben.
Außerdem handelt es sich bei Mein Sommer auf dem Mond ja nicht um ein Therapiehandbuch. Einige wünschen sich mehr Therapie, aber ich wollte ja kein Buch über den Alltag in einer Therapie schreiben. Mir geht es um die Jugendlichen, die zu häufig auf die Krankheit reduziert werden, die mit dem Stigma psychisch krank leben müssen. Dabei sind sie normale Jugendliche mit normalen Wünschen, Hoffnungen und Träumen, die im Schatten ihrer Krankheit fast untergehen.
Die Gruppe, mit der ich im Zuge der Recherche gesprochen habe, beschwerte sich zum Beispiel, dass man in den meisten Jugendbüchern einfach nur von ‘kranken Jugendlichen in Behandlung’ liest, aber nichts über die Jugendlichen an sich erfährt. Ich denke, sie haben damit nicht ganz unrecht.
Sebastian Fitzek hat in einem Interview erzählt, dass sein erster Romanentwurf meistens Müll sei. Wie oft überarbeitest Du Deine Manuskripte? Und magst Du uns anhand von „Mein Sommer auf dem Mond“ erzählen, was sich im Laufe der Überarbeitung verändert hat und warum?
Die allererste Fassung ist oft nur der Teig, noch kein Kuchen. Es fehlt die passende Form, die Deko, er muss noch in den Ofen. Für gewöhnlich habe ich zwei Überarbeitungsgänge bis zum fertigen Roman. Meinen persönlichen, bevor das Manuskript an den Verlag geht und dann noch mal einen mit meiner Lektorin. Beim Mond haben wir da gekürzt, einige Szenen zusammengezogen und dann war es das auch schon. Eigentlich stand das Kürzen hier im Mittelpunkt, weil der Roman in der Rohfassung um viele, viele, VIELE Seiten länger war.
In Mein Sommer auf dem Mond gibt es Szenen, die strenge Lektoren vielleicht als unlogisch betiteln würden. Dennoch sind diese Momente wichtig für die Geschichte: Ein Minderjähriger klaut beispielsweise ein Auto und fährt damit herum, obwohl er keinen Führerschein hat. Ich frage mich daher: Wie schaffst Du es, solche Szenen vor dem Lektorat zu rechtfertigen?
Ich denke, da liegt ein Trugschluss vor. Die Szene ist nämlich kein bisschen unrealistisch oder unlogisch – schon gar nicht in Gänze des Romans gesehen. Ein Auto zu klauen, vor allem wenn man noch keinen Führerschein hat, passiert viel zu oft. Bei meinen Recherchen bin ich über so viele Unfälle gestolpert, die sich im Raum Stuttgart abgespielt haben, bei denen minderjährige Jungs mit dem Wagen auf der Landstraße verunglückt sind. Ein guter Freund von mir hat durch so einen Unfall seinen Bruder verloren, dem sind zwei Kids – beide 15 – mit einem geklauten Wagen auf der Landstraße ins Auto gerast.
Wäre die Szene unlogisch, hätte mir meine überaus strenge Lektorin die Szene um die Ohren geschlagen.
Unlogisch sind für mich in Romanen übrigens häufig nur Dinge, die im Kontext der Handlung nicht passen. 
ACHTUNG SPOILER
Wir wissen, wieso Basti es damals gemacht hat und verstehen auch, wieso er es jetzt wieder tut. Den Schlüssel hatten sie, die Motivation dazu ist auch nachvollziehbar, somit ist die Szene vieles, aber sicher nicht unlogisch.
SPOILER ENDE
Du hast selbst unter Panikattacken gelitten und bereits einen Burnout hinter Dir. Magst Du uns erzählen, wie es dazu kam und wie sich die Symptome in der Akutphase bemerkbar gemacht haben?
Ich leide noch immer unter Panikattacken, die eben leider auch mit dem Burnout zusammen kamen. Bei mir lag es damals an dem sehr stressigen Job am Set, der höchst unangenehmen Stimmung am Set und dem allgemeinen Umgang damals. Ich habe den Fehler gemacht und wollte etwas beweisen, ohne dabei auf meine Gesundheit zu hören oder die Warnsignale zu beachten.
Das schwerste war, es sich nicht anmerken zu lassen. Ich habe alles überspielt, blöde Ausreden erfunden, war noch witziger als sonst. Heute höre ich auch noch oft: „Du? Das hätte ich nie gedacht!“
Damals wusste ich noch nicht, dass es Panikattacken waren, ich habe ein körperliches Problem gesucht, habe verschiedene Ärzte besucht und jedes Mal, wenn es hieß: „Frau Popescu, Sie sind gesund.“ wollte ich schreien, weil ich ja wusste, dass ich es nicht war. Irgendwann habe ich sogar gehofft, sie würden auf einem Röntgenbild irgendwas finden, weil viele dachten, ich würde spinnen, mir die Symptome nur einbilden etc.
In der Akutphase war es so schlimm, dass ich nicht mehr einkaufen gehen konnte – und mein Edeka war keine zwei Minuten von meiner Wohnung entfernt. Ich habe Einladungen zu Partys, Hochzeiten und Abendessen abgelehnt, habe alberne Ausreden genannt und im Zuge dessen einige Freunde verloren. Dinge, die mir vorher wahnsinnig viel Spaß gemacht haben, konnte ich nicht mehr tun, weil die Angst vor der nächsten Attacke zu groß waren. Ich habe mich zurückgezogen und quasi nur noch in meiner Wohnung gelebt. Bis es nicht mehr ging und ich eine Therapie angefangen habe. Als ich zum ersten mal hörte Sie leiden an Panikattacken war ich so dankbar, weil ich wusste, ich bilde mir das nicht ein und ich kann etwas unternehmen. Die Ohnmacht war endlich weg.
Es dauerte dann aber noch ein gutes halbes Jahr, bis ich es meinen Freunden erzählt habe, weil ich nicht wusste, wie sie damit und mit mir umgehen würden. Die Reaktion war: ‘Wieso hast du es nicht früher gesagt?’
Bei meiner Arbeit wussten sie auch nicht, dass ich an Panikattacken litt, weil ich wusste, sie würden mir den Stempel ‘kann dem Stress nicht standhalten’ aufdrücken, dabei ist das der größte Unsinn, den Betroffene zu hören bekommen. Ich habe ja trotz Panik super Arbeit abgeliefert, war am Ende des Tages allerdings so erschöpft wie nach einem Marathon und hatte sogar Muskelkater, weil mein Körper non-stop so angespannt war. Das sehen aber die meisten natürlich nicht, weil wir die Meister im Sich-nichts-anmerken-lassen werden.
Ich denke, ich hätte früher darüber sprechen müssen. Mit Freunden, Familie und auch den Chefs.
Jetzt habe ich es eben meine Astronauten machen lassen.
Was hilft Dir dabei, die Panik in Schach zu halten?
Mir hilft die Muskelrelaxation und die Atemtechnik, die ich in der Therapie gelernt habe. Ich lasse auch das Stresslevel nicht mehr so groß werden, höre auf meinen Körper.
Ich versuche einen Ausgleich zu meiner Arbeit und dem Stress zu finden.
Auch mein Hund ist Teil von allem dem, sie ist mehr Therapiehund als sie weiß. Früher wäre ein täglicher Spaziergang undenkbar gewesen, jetzt gehen wir bei Wind und Wetter vier mal am Tag raus. Diese Vorstellung hätte meinem Vergangenheits-Ich die Schweißperlen auf die Stirn gezaubert.
Panikattacken entstehen bei mir immer dann, wenn das Gleichgewicht nicht stimmt. Ich versuche, sie nicht nur als meinen Dämon zu sehen, sondern als Alarmsystem, welches mich warnt: Popescu, mach langsam.
Deswegen habe ich mich damals auch entschieden Vollzeitschriftsteller zu werden und den Druck von zwei Jobs nicht länger aushalten zu müssen.
Vor allem hilft es mir aber, dass meine Freunde es verstehen, mich auf Konzerte begleiten, obwohl ich manchmal mitten drinnen kurz raus muss – und sie deswegen vielleicht ihren Lieblingssong verpassen – oder mit mir in Restaurants gehen, auch wenn ich mal kurz durchatmen muss. Das Verständnis in meinem persönlichen Umfeld ist großartig. Ja, ich habe einige Bekannte verloren, die damit nicht umgehen können, aber zu wissen, dass meine fünf Punkte immer da sind, mich nicht bewerten, das hilft unheimlich.
Was kannst Du Menschen mit psychischen Problemen oder einer chronischen psychischen Erkrankung mit auf den Weg geben?
Ich glaube, das kommt immer auf den Menschen und die Krankheit an. Ich wünschte mir, die Scham vor dem Eingeständnis würde sinken. Die Akzeptanz von psychischen Krankheiten in der Gesellschaft und nicht dieses „Du bist ja nicht wirklich krank“.
Wenn ich also irgendeinen Tipp habe, dann ist es dieser hier: Sucht euch Hilfe, redet darüber.
Und an die Nicht-Betroffenen: Hört zu, hört einfach zu.
Das ist schon eine ganze Menge.
Fritzi, Basti, Tim und Sarah werden von vielen Lesern „Astronauten“ genannt, weil sie in der Astronauten Gruppe sind. Wer sind Deine Astronauten? Wie hast Du sie kennengelernt?
Meine Astronauten beruhen lose auf den Jugendlichen, mit denen ich im Vorfeld gesprochen habe, die unglaublich ehrlich waren und Dinge aus ihrem Alltag erzählt haben, die zum Teil auch im Buch auftauchen. Dazu natürlich die übliche Mischung der Charaktereigenschaften, die ich bei Freunden und mir selbst geklaut habe. Wie in all meinen Romanen, steckt auch diesmal in allen vier etwas von mir. Ich bin sehr stolz darauf, dass so viele Leser sich in diesen vier Astronauten wiederkennen – unabhängig davon ob sie nun selbst an psychischen Problemen leiden oder nicht.
Kürzlich hast Du uns auf Deinem Blog Einblick in einen offenen Brief an eine neue Protagonistin Deines aktuellen Projektes gegeben. Darfst Du schon etwas über die Geschichte verraten?
Es handelt sich bei der Geschichte um meinen ersten Erwachsenenroman seit vier Jahren und wird wieder beim Piper Verlag erscheinen. Er basiert auf meiner Abschlussarbeit meines Drehbuchstudiums und war tatsächlich mal ein Drehbuch. Inzwischen hat sich natürlich einiges verändert, denn die Story liegt seit 2005 hier, da reift natürlich noch mal einiges.
Es handelt sich um einen Roadtrip zurück zu meinen Wurzeln und wird anders, als alle bisherigen Romane. Aber natürlich hoffe ich, dass er trotzdem – oder gerade deswegen? – viele Leser begeistern wird.
Was wünschst Du Dir für die Zukunft?
Gesundheit. Alles andere kann man sich erarbeiten. Wenn mein Leben genau so weiterläuft wie bisher, habe ich wirklich keinen Grund zu meckern. Bis 2020 werden mich eure Bücherregale schon mal nicht los, was danach kommt? Wir werden sehen.
Vielen Dank, für Deine offenen Worte und dass Du Dir die Zeit genommen hast, meine Fragen zu beantworten. 

3 Gedanken zu „Adriana Popescu spricht über “Mein Sommer auf dem Mond” und das Schreiben“

  1. Hallo Emma,
    ich kannte die Autorin dem Namen nach, habe aber noch nichts von ihr gelesen. Das Interview ist super, sehr persönlich und aufschlußreich – auch lehrreich für Menschen wie mich, die ich keine psychische Krankheit habe, aber einige in meinem Umfeld.
    Das Astronauten-Buch klingt gut!
    Danke für dieses Interview, auch an die Autorin!
    LG,
    Daniela

    Antworten
  2. Guten Abend Daniela,

    es freut mich, dass Dir das Interview gefallen hat. Tatsächlich habe ich mich erst heute wieder mit jemandem über das Interview unterhalten und derjenige meinte dann, ob ich denn einen Nachweis hätte, dass ich mir das Interview nicht "ausgedacht" habe. Das fand ich dann einen spannenden Gedanken.

    "Mein Sommer auf dem Mond" ist wirklich super. Ich habe das Buch sehr gerne gelesen.

    viele Grüße

    Emma

    Antworten

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