4. Türchen – Die Frau

Ein Kranz in dessen Mitte eine 4 steht.Es war mitten in der Nacht. Die Uhr zeigte zwar erst sechs Uhr an, aber es fühlte sich an, als würde die Welt schon längst schlafen. Gedankenverloren strich sie umher. Heute war Weihnachten, das Fest der Liebe.
Liebe… Ja, wenn das mit dem Glücksgefühl und der rosaroten Brille nur so einfach wäre. Vor einem Jahr leuchtete das Rosa noch etwas blass. Aber es war da. Inzwischen war sie von Wolke sieben wieder auf den Boden der Tatsachen angekommen. Er war mittlerweile ausgezogen und hatte eine neue Freundin. Sie hingegen war mit den beiden Kindern zurückgeblieben.

»Lass uns bitte nicht streiten. Der Kinder wegen«, hatte er gefordert, als er ihr verkündete, dass ein neuer Nachwuchs anstehen würde.
Natürlich war es kein Befehl im typischen Sinne. Kein ernster Blick, keine harten Worte. Warum musste sie sich ihm anpassen? Durfte sie sich denn nicht so fühlen, wie sie wollte? Ihr war nun mal nicht nach Patchworkfamilie und Friede-Freude-Eierkuchen. Ihre Ehe war in die Brüche gegangen.

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3. Türchen – RumtreiBär

Ein Kranz in dessen Mitte eine 3 steht.Weihnachten ist auch nur ein Tag, wie jeder andere. Morgen benötige ich ebenfalls einen Schlafplatz und etwas zu essen. Irgendwo, wo mich keiner stört. Am liebsten würde ich mich in einem Laden einschließen lassen. Aber meistens fliege ich dann doch auf. Entweder sie erkennen meinen Geruch oder sie gehen bei der letzten Runde zu gründlich vor. Dabei lege ich großen Wert darauf, keinen Ärger zu machen. Sie können ja auch nichts für meine Lage.

»Kommst du morgen auch mit? Es gibt bestimmt wieder gutes Essen?«, wurde ich von meinem Kumpel gefragt.
Wir saßen an einer der Nebeneinkaufsstraßen. Zu abseits um den Polizisten aufzufallen, aber immer noch zentral genug um doch etwas Geld abzweigen zu können. Klauen war nicht unser Stil. Soweit waren wir noch nicht gesunken.

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2. Türchen – Das Mädchen

Ein Kranz in dessen Mitte eine 2 steht.»Komm, wir fahren heute in die Stadt«, verkündete ihre Mutter beim Frühstück.
Sie war irritiert.
Ihre Mutter fuhr nie einfach so mit ihr in die Stadt. Da war irgendetwas faul.
»Du musst doch noch etwas finden, was dir der Weihnachtsmann schenken kann«, flötete sie.
Der Weihnachtsmann…
Dabei sagten alle in der Schule, dass es den Mann überhaupt nicht gab. Warum sollte er ausgerechnet ihr etwas schenken wollen? Aber bisher hatte es ja auch immer geklappt.

Meist war nie an ihrer Haustür geklingt worden, sodass sie den Teller voller Kekse selbst essen und die Milch alleine trinken musste. Aber Geschenke hatte es immer gegeben. Dabei hatte das mit der Milch und den Keksen in diesen Filmen immer funktioniert.

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1. Türchen – Wie Australien

Ein Adventskranz in dessen Mitte eine goldene 1 steht.
Bild von: Emma Zecka

»Was für eine Kälte! Da geht nichts über eine ordentliche Currywurst. Also, halt dich ran und brat mir mal eine«, lachte der altbekannte Stammgast und schlug um seine Aussage zu bekräftigen, auf den Tresen.

Nun hing es ganz von Norbert ab, wie diese Szenerie endete.
An guten Tagen stimmte er in das Lachen mit ein und hatte keine Mühe Smalltalk mit dem treuen Kunden zu führen. Was wäre sein Leben ohne diesen Herrn? Ein langweiliger Ort. Jeden Tag kam er aufs Neue an Norberts Bude, um sich seine Currywurst abzuholen. Ernährungsexperten hatten ihre Stirn in Kraus gezogen und sich wahrscheinlich über die eintönige Ernährung des Kunden ausgelassen. Dennoch hielt er Norbert die Treue und bekannte sich offen zu seiner Lieblingsspeise.
An guten Tagen war Norbert dankbar für den treuen Herrn. Er gehörte nicht nur zu den zahlungsfähigen Kunden, sondern brachte auch noch eine kostenlose Portion Humor mit. Auch wenn diese wirklich eigenartig war. Doch Norbert verstand ihn.

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Der literarische Adventskalender 2017 – Zwölf Charaktere, zwölf Geschichten

Kranz mit Weihnachtsvogel und Schneeflocken. In der Mitte steht: Frohe Weihnachten
Bild von: Emma Zecka

Guten Morgen zusammen,

hiermit möchte ich euch den diesjährigen literarischen Adventskalender vorstellen. Vor ein paar Monaten kam die Grafikerin mit einer neuen Idee um die Ecke. Da sie sich eben auf Grafiken und nicht auf das Schreiben versteht, habe ich beschlossen, ihre Idee umzusetzen und hoffe einfach mal, dass sie ihr und euch gefällt.
Nun fragt ihr euch sicher um was es eigentlich geht.

Die Idee: Die Sache mit dem Adventskalender

Wie auch schon in den letzten beiden Jahren, gibt es auch diesmal wieder einen literarischen Adventskalender. Bisher gab es, ganz nach der Adventskalender Tradition, 24 Türchen verteilt auf 24 Tage.
Allerdings kennen wir alle das vorweihnachtliche Treiben. Je näher das Fest rückt, desto mehr Stress gibt es. Geschenke müssen eingekauft und verpackt werden. Und da steht immer noch nicht die Organisation der Bescherung oder die Route für die anschließenden Verwandtenbesuche.

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Im Jahre 1929

ein Kranz in dessen Mitte eine 24 steht.Das Weihnachtsfest nahte. Und der Sohn würde es außerhalb feiern. Das erste Mal seit all den Jahren. Obwohl er das Elternhaus schon vor einiger Zeit verlassen hatte, war er an Weihnachten nach Hause gekommen. Die Mutti hatte Tränen in den Augen, als der Brief angekommen war. Vati schwieg und dachte nach.

Nach drei Tagen Bedenkzeit verkündete er der Mutti: „Wir werden ihn besuchen.“
Die Mutti blickte ihn ängstlich an: „Er hat doch gesagt, er möchte Weihnachten lieber mit seinen Freunden feiern.“
„Wir müssen ja nicht drei Tage mit ihm verbringen. Wir können ja nur ein paar Stunden bleiben. Nur, weil er nicht kommen möchte, heißt, dass nicht, dass ich ihn nicht besuchen kann. Vati kann. Du wirst es schon sehen.“
Also machte sich Mutti daran, die Sachen für die Reise zu packen. Während sie Wäsche faltete und in Koffern unterbrachte, murmelte sie: „Wir schaffen das.“

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Im Jahre 1990

Ein Kranz in dessen Mitte eine 23 steht.„Wir als Einkaufszentrum haben es uns zur Aufgabe gemacht, glückliche Kunden in diesen heiligen Hallen zu erfreuen. Und wie macht man Kunden glücklich?“ Der Einkaufszentrumsleiter blickte enthusiastisch auf eine Gruppe Männer, welche mehr oder weniger gespannt seinen Worten lauschte.

„Man macht sie mit dem Weihnachtsmann bekannt.“ Es herrschte Stille. Kein begeistertes Klatschen. Kein Jubel.
„Okay, da müssen wir wohl noch viel arbeiten. Sie kennen die Spielregeln. Wir teilen Ihnen jetzt Weihnachtsmannkostüme aus und danach geht es los zur Arbeit.“
Lucas verabscheute den Weihnachtsmann. Warum er sich dennoch für diesen Job beworben hatte? Ganz einfach: Er brauchte Geld.

Und besser als ein überdimensionales Hasenkostüm oder Sportmaskottchen war das allemal. Ihm wurde ein rot weißer Anzug inklusive Bart und Mütze in die Hand gedrückt. „Jetzt stellen Sie sich in Zweiergruppen zusammen. Gearbeitet wird immer im Team“, verkündete der Leiter und blies in eine obligatorische Tröte. Die Männer waren alle gemischten Alter. Es gab junge, wie Lucas, sowie steinalte, die wahrscheinlich noch am ehesten in die Weihnachtsmannrolle gepasst hätten.

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Im Jahre 2000

ein Kranz in dessen mitte eine 22 steht.Mir ist warm. Und zwar richtig. Nicht etwa seit heute, oder gerade eben. Dieses Gefühl der Hitze umgibt mich schon seit Tagen. Oder Wochen? Ich habe jegliches Zeitgefühl verloren. Es ist dunkel. Außerdem fühle ich mich eingeengt. Ich kann mich nicht bewegen. Das ist nicht gerade schön, wenn man zugegebenermaßen gegen Wärme ankämpfen muss und sich nicht einmal Luft zufächern kann.

„Wann gibt es die Geschenke?“
„Erst einmal essen wir.“
Die Geräusche verstummten und ich blieb einsam zurück. Vorsichtig versuchte ich ein paar Glieder zu strecken. Ich stieß gegen eine Wand. Schnell stellte ich fest, dass mich die Wand von allen vier Seiten umgab.

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Im Jahre von Jesu Geburt Part II

Ein Kranz in dessen Mitte eine 21 steht.Eine Schafsherde graste auf einer Weide. Mitten in der Nacht. Der Schäfer war mit den Jahren etwas vergesslich geworden. Und da es ein heißer Tag und somit eine schön lauwarme Nacht war, hatten die Schafe auch kein Bedürfnis danach, ihren Stall aufzusuchen.

„Ey, seht ihr den Stern da oben?“
„Freddy, du hast mal wieder zu viel Gras geschnupft“, flötete Helga.
„Halt, ich seh ihn auch!“, meinte ein anderes Tier aus der Herde. Immer mehr Schafe starrten an den Himmel und betrachteten den Stern, der am hellsten leuchtete. Von weit her – oder doch ganz nah? – erklang eine Stimme.

Die Schafe blickten sich nicht einmal suchend um, betrachteten einfach nur den Stern, aber lauschten auf jedes Wort: „In drei Tagen wird ein Kind geboren. Ein Kind, welches treue Gefährten auf dieser Welt braucht. Denn ihm steht kein einfaches Leben bevor. Macht euch auf und heißt es auf dieser Welt willkommen. Folgt dem Stern und er führt euch zu eurem Ziel.“
Die Stimme verstummte. Ein paar Schafe riefen begeistert: „Auf, lasst uns gehen.“ Doch eines übertönte die versammelte Mannschaft: „Lasst uns eine Nacht darüber schlafen. Morgen ist auch noch ein Tag.“

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Im Atomkraftwerk

ein Kranz in dessen Mitte eine 20 steht.Das Weihnachtsfest war am heutigen Tag. Doch von der dazugehörigen Stimmung fehlte jede Spur. Es war zu warm, zu schneefrei und die Arbeit zu anstrengend.

Max bewegte sich wie jeden Tag schlurfend auf das große Eingangstor des Kraftwerkes zu. Gleich würde er wieder einen Schutzanzug überziehen und sich freuen, wenn der Dienst vorbei war und das Wochenende näher rückte. Aber zuerst einmal gab es Büroarbeit zu erledigen. Am Bordcomputer angekommen, nahm das Schicksal seinen Lauf. Alle Mitarbeiter mussten erst einmal den eigenen „Mitarbeiter“-Knopf drücken, bevor der PC freigeschaltet wurde. Jeder Mitarbeiter hatte seinen eigenen Knopf und das damit verbundene Passwort.

Natürlich fanden die Angestellten ihren Knopf mittlerweile blind und mussten daher keine Zeit mehr damit verschwenden, ihn mühsam auf der Tastatur zu suchen. Und so fiel Max auch nicht auf, dass sämtliche Knöpfe leuchteten. Gefährlich war das keinesfalls. Es zeigte nur mal wieder, dass die gestrige Früh- und Spätschicht vergessen hatten, sich ordnungsgemäß abzumelden. Und selbst als Max seinen Knopf betätigte und die ganzen Lichter bedrohlich zu blinken begannen, ahnte er noch nichts von dem magischen Moment, der ihm bevorstand. Alles lief wie am Schnürchen, die Kühlaggregate funktionierten und von einer Kernschmelze keine Spur.

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