1. Advent: Vorhaben und Durchführung

Ein Adventskranz in dessen Mitte eine goldene 1 steht.
Bild von: Emma Zecka

Mitten in der Nacht vor einem großen Fabrikgebäude

»Also, Jungs…« Fred setzte gerade zu seiner legendären Ansprache an, wurde aber schon nach den ersten beiden Wörtern unterbrochen.
»Und Mädels, schon vergessen?«, kam der erste Zwischenruf aus unserer kleinen Gruppe.
Er seufzte: »Okay, alle miteinander. Wir haben es oft genug besprochen. Ihr wisst genau, was zu tun ist. Packt alles ein, was viereckig sein könnte oder nach Schokolade aussieht. Sobald Nerdy euch das richtige Signal gibt, rennt ihr in Richtung des Eingangstors.« Er legte eine kleine Kunstpause ein, die natürlich sofort wieder ausgenutzt wurde.
»Ja, ja schon gut. Lasst uns endlich anfangen. Wir haben nicht die ganze Nacht Zeit«, grummelte jemand aus unseren Reihen.

Nerdy hämmerte bereits auf ein mitgebrachtes, technisches Gerät ein.
»Und vergesst auf keinen Fall das Wichtigste…« Diesmal hörte ich jemanden hinter mir kichernd flüstern: »Die Schokolade natürlich.«
»… Euch mit euren Decknamen anzusprechen.«
Nerdy stieß einen Zischlaut aus, streckte seinen Daumen bestätigend nach oben, ohne seinen Blick von dem technischen Gerät abzuwenden.
»Euch bleiben zwanzig Minuten. Im Idealfall vielleicht eine halbe Stunde«, erklärte der beste und einzige Techniker in unseren Reihen, ohne uns eines Blickes zu würdigen.
»Passt auf euch auf!«, gab uns Fred einen letzten Ratschlag mit auf den Weg. Dann rannten wir alle los.

Ich glaubte die Schokoladenfabrik bei uns im Ort mindestens genauso gut zu kennen, wie mein eigenes Zimmer. Als wir unser Vorhaben planten, hatten sich einige von uns zu einer Führung angemeldet, um schon mal ein paar der Räumlichkeiten sehen zu können.
Natürlich hatte Nerdy es geschafft uns einen Lageplan des Geländes zu besorgen. Und zwar auch von den Räumlichkeiten, die natürlich nicht für den Publikumsverkehr zugänglich waren.

Die Schokoladenfabrik hier im Ort war im Vergleich zu den Fabriken in den Großstädten noch relativ klein. Im Gegensatz zu anderen Fabriken wurden hier keine Nachtschichten geschoben, was unsere Arbeit erheblich erleichtern würde.
Das Eingangstor öffnete sich wie von Geisterhand und komischerweise ohne einen quietschenden Laut von sich zu geben. Wir rannten auf den kleinen Innenhof. Die Ersten von uns hatten bereits die Eingangstür des Fabrikgebäudes erreicht und waren hineingestürmt.

Bei der Führung hatten wir herausgefunden, dass wir uns hauptsächlich um drei Räume kümmern mussten: Den Raum, in dem die Schokolade gelagert wurde. Der Raum mit den bereits bestückten Adventskalendern. Und zu guter Letzt der Raum, in dem die Schokolade in die Kalender gefüllt wurde. Besonders pflichtbewusste Mitarbeiter legten hier nämlich die neue Ladung für die Frühschicht bereit.

Wir trugen große Wanderrucksäcke auf unseren Rücken. Hier wollten wir unsere Beute verstauen.
Bei einer unserer Lagebesprechungen hatte jemand vorgeschlagen, wir sollten uns Stoffsäcke besorgen und sie schultern. Dieser Vorschlag war mit einem trockenen: »Sind wir etwa der Weihnachtsmann?«, abgetan worden.
Ich folgte zweien meiner Teammitglieder. Wir waren für den Kühlraum zuständig, in dem die Schokolade vermutlich gelagert wurde. Mein Weihnachtsherz schlug eigentlich für den Adventskalenderraum. Doch heute konnte ich keine Rücksicht auf meine Gefühle nehmen. Wir hatten eine Mission. Wir mussten schnell arbeiten und durften uns auf keinen Fall erwischen lassen. Denn dann wäre alles verloren.
»Ist der Kühlraum schon offen?«, fragte jemand neben mir in sein Funkgerät.
»Schon ewig. Beeilt euch mal, Schoko und Bon«, antwortete Nerdy. Das Grinsen in seiner Stimme war deutlich zu hören.

Wir rollten mit den Augen. Wir hatten uns die Codenamen nicht ausgesucht.
Der Kühlraum war erreicht. Zwei von uns waren bereits damit beschäftigt, die Schokoladen die auf den Paletten lagen, auszuräumen und in kleine Boxen zu füllen. Draußen war es so kalt, da würden sie uns mit Sicherheit nicht schmelzen.
Ich holte tief Luft. Lange war ich mir nicht sicher gewesen, ob wir wirklich das richtige Ziel verfolgten. Es war einfach eine merkwürdige Aktion. Eine Mischung aus verrückt und absolut genial. Aber wahrscheinlich machte genau das unsere Bewegung aus.

Wir hatten es geschafft diesen Plan über mehrere Monate hinweg heimlich zu entwickeln. Und dass, obwohl es ziemlich schwierig war, überregional mit den anderen Gruppen zu kommunizieren, ohne erwischt zu werden.
»Da kommt nie jemand drauf.« Freds Augen hatten geleuchtet, als er mit seinem Bericht bei unserer ersten Lagebesprechung geendet hatte.
»Adventskalender für alle? Ernsthaft?« Die kritische Frage war ihm entgegengeworfen worden. Es war eben auch ein merkwürdiger Name für eine Aktion.
»Natürlich. Adventskalender sind teuer. Jedes Kind wünscht sich einen. Aber nicht alle Eltern verfügen über das Geld sich wirklich die Kalender mit der guten Schokolade leisten zu können. Je günstiger der Kalender, desto schlechter die Schokolade«, entgegnete Fred bestimmt. Wir alle wussten, wie Recht er damit hatte.
»Jetzt, komm. Bei uns hat es damals auch ein selbstgebastelter Kalender getan«, protestierte einer der Anwesenden.
»Schau dir unsere Welt doch mal an! Selbstgemachte Sachen sind out. Du bist nur cool, wenn du dir auch etwas kaufen kannst«, entgegnete Fred ernst.
Ich konnte mich noch gut daran erinnern, wie ich bei seiner Bemerkung schluckte. Um dem Konsumverhalten der Menschheit gerecht zu werden, war selbst bei uns im Ort nun auch eine Fabrik eröffnet worden. Einem Ort, aus dem die Leute in der Regel wegzogen, sobald sie alt genug dazu waren.

»Noch zehn Minuten!« Nerdys monotone Stimme drang durch unsere Funkgeräte.
Inzwischen waren wir alle über irgendwelche Paletten gebeugt. Während ich versuchte, meinen Arbeitsplatz halbwegs ordentlich zu hinterlassen, warfen die Anderen die leeren Paletten einfach achtlos in die Ecke. So als ob sie damit ihre Abneigung gegenüber dem Adventskalender Konsum demonstrieren wollten.
»Snick, du sollst das Zeug nicht essen, sondern einpacken!«, rief mein Namens-Partner Schoko genervt aus.
All unsere Blicke schossen in Richtung des Jungen, der nach dem Erdnussriegel benannt worden war. Böse Zungen behaupteten, er hätte sich den Namen nur eingefangen, weil seine Laune in den Keller ging, wenn nicht genug zu Essen in Reichweite war. Angeblich wurde er dann zur Diva.
»Sorry…, ich wollte doch nur…«, brachte er mit vollem Mund hervor.
»Ist ja auch egal. Die Zeit läuft«, meinte ich. Wir hatten keine Zeit für Erklärungen.

Nach weiteren fünf Minuten versank der Kühlraum im Chaos. Die Paletten waren geleert und unsere Rucksäcke gefüllt.
»Leute, sie haben mich bemerkt. Schaut, dass ihr rauskommt!«, rief Nerdy außer Atem. Das Funkgerät knackte bestätigend.
Nicht gut! Wenn Nerdy rannte, war es dringend.
Wir rannten den Flur entlang, aus dem wir gekommen waren. Vereinzelt hörten wir Stimmen. Tiefe Stimmen. Verdammt! Da stimmt was nicht, dachte ich. Panik breitete sich in mir aus. Darauf waren wir nicht vorbereitet.
»Die gehören nicht zu uns«, zischte Snick.
Wir nickten.
»Wer bricht denn bitte mitten in der Nacht in eine Schokoladenfabrik ein?«, gähnte eine tiefe Stimme.
»Der Weihnachtsmann?«, lachte eine zweite, dünnere Stimme trocken auf.
»Wo seid ihr? Kommt gefälligst raus! Ich will zurück in mein Büro!«, rief der Erste der beiden Männer.
Büro? Nerdy hatte behauptet, dass das Sicherheitsbüro nur selten besetzt war. Zumindest nachts.

»Warum machen wir eigentlich nicht die Deckenbeleuchtung an?«, fragte die zweite Stimme.
»Weil sie in Filmen auch immer mit Taschenlampen herumlaufen und das um einiges cooler ist.«
Schritte näherten sich. Wir drückten uns an die Wände und hielten die Luft an.
Da liefen sie direkt an uns vorbei. Den Blick und das Licht nach vorne gerichtet.
Ich glaube es nicht! Erleichterung machte sich in mir breit. Beinahe hätte ich laut gelacht.
»Wie blöd kann man sein?«, zischte ich, als die beiden den Flur entlang geschlendert und somit außer Hörweite waren.
Schoko blickte ihnen nach und ich merkte ihm an, dass er gerade über einen Plan nachdachte. Wir waren nicht umsonst Namenspartner.
»Was hast du vor?«, flüsterte ich kaum hörbar.
»Kühlraum?« Es klang mehr wie eine Frage, als eine Antwort.
Ich schüttelte den Kopf und hoffte inständig, dass er diese Geste zumindest erahnen konnte. Das konnte er nicht machen. Keine Gewalt. Das war eine unserer wichtigsten Regeln.
»Kommt jetzt. Bevor sie merken, dass da keiner ist«, zischte Snick und rannte los und vergaß dabei, wie hilfreich es war, sich möglichst leiste fortzubewegen. Ich packte Schoko am Arm und zog ihn mit. Weg von der Gefahr.

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11 Gedanken zu „1. Advent: Vorhaben und Durchführung“

  1. Die Grafikerin ist besorgt… Wird hier etwa kurz vor dem Fest ein kleines Dorf wegen einiger Schokoladen-Robin-Hoods in die Arbeitslosigkeit katapultiert? Oder ist das ein ausgeklügelter Sanierungsplan, der zuerst für den Bankrott der kleinen Schokladenfabrik sorgt, um danach, der Arbeitsplätze wegen, von der Bundesregierung gerettet zu werden? Schlaue Füchse schleichen durchs Schokoladengeäst!
    Die Grafikerin

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  2. OKay, okay.
    Ich gebe es ja zu.
    Es ist ein Anschlag der Fat Fighters…

    Es kommt noch viel schlimmer.
    Aber sei beruhigt. Es wird keine To(r)te geben…

    Vielen Dank fürs vorbeischauen und kommentieren.

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  3. Boaah, ich bin gespannt wie es weiter geht. Aber bisher sind die mir ja mal meeeeega unsympathisch!
    Man bricht doch nicht einfach irgendwo ein!? WTF!?
    Die Begründung ist mir auch unklar. Aber es gibt ja noch drei weitere Kapitel.

    Gruß!

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  4. Hello, my name is Johnny English.
    Ich bin former agent, British Secret Service. Ich hatte gerettet the Kronjuwele von de Queen. Ich habe gerettet de Empire. Jetzt wo ich muss Rente, Boris macht de Brexit, shit !
    Aaaber, ich schaff jetzt mit mein Freund de Wachmann in de Schokoladenfabrik. Gelingfügig Beschäftigung 450 Euro.
    Wer de Kronjuwele rettet, der sichert auch erfolgreich de Schokoladefabrik.

    Da war nix ! Komm wir gehe wieder ausruhe ..

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  5. Ich hatte heute Mittag ein Gespräch mit einer Mitleserin, die quasi genau dasselbe sagt. Und sie hat mich jetzt nochmal inspiriert, meinen Plan etwas abzuändern.
    Beim Schreiben fand ich die Idee eigentlich ziemlich interessant. Aber vermutlich war ich einfach nur im "Widerstand"-Film a la Ophelia Scale, wobei die Begründung für den Widerstand dort deutlich besser umgesetzt ist, als bei mir.

    Es freut mich, dass Du in diesem Jahr wieder mit dabei bist.

    viele Grüße zurück!

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  6. Vielen Dank für die Rückmeldung.
    Rückblickend war der Start vielleicht etwas chaotisch.
    Ich habe noch drei Sonntage Zeit, das Chaos zu lichten.
    Aber jetzt mache ich erstmal Feierabend und gehe speisen.

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  7. Liebe monerl,

    vielen Dank für Deine Rückmeldung.
    Da hattest Du echt Glück, dass die zweite Geschichte schon online war. So war der Cliffhanger nicht ganz so groß 🙂

    viele Grüße

    Emma

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