7. Türchen – Der Freund

Ein Kranz in dessen Mitte eine 7 steht.Ich wusste, dass er nicht kommen würde. Er sagte immer, dass es nichts für ihn war, aber meistens gab er dann doch klein bei. Doch als ich bis nach dem Hauptgang vergeblich auf ihn gewartet hatte, war mir klar, dass ich diesmal vergeblich wartete.

Wo zum Teufel steckte er? Ich hatte ihn schon seit Stunden nicht mehr gesehen. Das letzte Mal hatte er ein kleines Mädchen mit einem Plüschtier im Schlepptau gehabt.
»Woow, bist du Vater geworden?«, fragte ich grinsend als wir uns begegnet waren.
»Halt die…«
Doch er hatte mitten im Fluch abgebrochen und stattdessen geflüstert: «Wir müssen sie nach Hause bringen.»
»Wir?«, entgegnete ich fragend.

Das war mit einer der Gründe, warum ich nicht mehr zu Hause lebte. Ich war nicht der Typ, der auf Kinder aufpasste. Das konnte ich einfach nicht. Ich wusste es, meine Eltern wussten es und trotzdem verlangten sie von mir auf meine drei kleinen Geschwister aufzupassen. Okay, gut, das war nicht das einzige Problem. Aber das ist auch nicht Teil dieser Geschichte. «Du hast gute Ideen», meinte er halbherzig.

»Verarsch mich nicht. Liefere sie einfach da ab, wo du sie her hast. Da wird sie schon wieder abgeholt werden. Und wir beide wissen, dass ich ganz bestimmt nicht der Typ mit den guten Ideen bin.«
»Es war ein Spielzeugladen«, antwortete er.
»Na, prima. Dann hat sie ja Unterhaltung bis ihre Eltern wieder auftauchen.«
Warum fühlte er sich für die Probleme der ganzen Welt verantwortlich? Er sollte Politik machen. Dann könnte er vielleicht mal etwas ändern.
»Bist du heute Abend dabei?«, fragte ich.

»Bei der Feier? Da kann ich mit ihr nicht auftauchen. Die machen sie fertig«, erklärte er bestimmt.
Ganz zu schweigen davon, dass ein kleines Mädchen unter den Erwachsenen auffallen würde. Im Nu hätte sich das Problem gelöst, weil ein Mitarbeiter kommen und fragen würde, wer sie war.
»Dann setz sie wieder aus. Sie findet schon nach Hause«, redete ich leicht dahin. Ihm musste doch klar sein, dass mein Plan gar nicht so schlecht war.
»Du spinnst, ja! Sie ist acht verdammt! Du weißt genau, welche Gestalten hier so rumhängen«, zischte er.
»Jetzt hört doch endlich auf euch zu streiten«, entgegnete das Mädchen. Erstaunt blickten wir sie an. Sie hatte während unseres Gespräches die Menschen beobachtet. Und ich bildete mir ein, dass sie dem Bären ein paar vielsagende Blicke zugeworfen hatte. War sie wirklich acht Jahre alt?
»Ich bin dafür, wir suchen uns jetzt etwas zu essen. Er…«, sie schüttelte den Bären in ihrer Hand, »… hat auch Hunger und meinte, dass es hier in der Nähe einen guten Laden gibt.«
»Weiß dein Kumpel auch, dass ohne Moos nichts los ist?«, entfuhr es mir.
»Es ist Winter. Da gibt’s kein Moos, sondern nur Schnee«, antwortete sie ernst. Dann stand sie auf.
»Kommt ihr?«, fragte sie.
Er blickte mich fragend an.
»Nicht dein Ernst? Du lässt dich von einer Achtjährigen herumkommandieren?«, fragte ich.
»Du hast doch auch Hunger.«
»Das war nicht die Frage und das weißt du genau.«
»Ach, auf einmal so scharfsinnig?«
Okay, ich ahnte es. Er war kurz vor einer Explosion. Das passierte selten. Aber wenn es soweit war, wollte ich besser nicht in seiner Nähe sein.
»Du weißt, wo du mich findest. Heute ist Weihnachten, du kannst sie sicher irgendwo abliefern.«
Dann hatte ich die beiden stehen lassen.

Und nun saß ich hier auf dieser verdammt kalten Parkbank am See. Ich könnte noch gut etwas zu Essen vertragen. Aber dorthin zurückgehen war keine Option. Bis ich es in die Innenstadt geschafft hatte, war der Laden wahrscheinlich sowieso dicht und die ganzen Leute wieder sich selbst überlassen. So war das nun mal. Früher war ich mit meinen Eltern oft hier her an den See gekommen. Warum ich mir heute ausgerechnet diesen Ort zum Frieren ausgesucht hatte? Keine Ahnung, es war wohl mehr Zufall. Ich hatte eine Runde

»Warten bis der Kontrolleur kommt!« gespielt und es war eben eine ziemlich lange Runde geworden.
Irgendwo näherte sich ein Auto. Wahrscheinlich noch so ein einsamer Mensch, der keine Freunde hat, dachte ich. Oder irgendjemand, der noch mit dem Hund raus muss.
Schritte näherten sich. Schnelle Schritte.
Hektisch blickte ich mich um.
Die Mafia? Nicht an Weihnachten.
Die Schritte kamen immer näher.

Links von der Parkbank auf der ich saß, führte ein Weg in Richtung des Sees. Die Frau, die sich genähert hatte, beachtete mich nicht und lief einfach weiter nach unten. Von ihr ging also keine Gefahr aus. War der See eigentlich zugefroren? So kalt, wie es war, mit Sicherheit.
Ich hing meinen Gedanken nach, als sich wieder Schritte näherten.
»Hallo?«
Das Rufen und die Schritte näherten sich.
»He, Kumpel was machst du denn hier?«, fragte ich, als er auf meiner Höhe angekommen war.
Der Kerl war nur etwas größer als ich. Als er bei meinen Worten zusammenzuckte, konnte ich mir das Grinsen kaum verkneifen. Tja, er hatte wohl nicht damit gerechnet, dass hier noch jemand zu finden war.
»Das Gleiche könnte ich dich fragen.«
Da war ein leichtes Zittern in der Stimme. Sowas hörte ich genau. Entspannung machte sich breit. Wenn es drauf ankam, würde ich mit ihm schon fertig werden.

»Hast du eine…«, wollte er gerade fragen.
»HE, WAS MACHEN SIE DA?«
Ich zuckte zusammen und sah, dass es ihm nicht anders erging.
Der Ruf hatte mich echt kalt erwischt. Das klang nicht wirklich gut. So als wäre etwas echt Schlimmes im Gang. Schnell blickte ich mich um und sah aus der Ferne zwei Gestalten.

»Das kommt von da unten«, erklärte ich. Instinktiv wollte ich gerade losrennen, als mich der Typ zurückhielt. Was sollte das denn, bitteschön? Als er dann auch noch damit begann, mir zu erklären, dass wir ja nicht wissen, was uns da unten erwartete, flammte wieder diese Unsicherheit in mir auf. Vielleicht hatte er Recht. Ich war eben nicht der Held. Noch nie! Warum sollte ich mich also diesmal schon wieder in eine Geschichte einmischen? Andererseits hatte der Schrei wirklich ängstlich geklungen. So als könnten diejenigen, die dort unten waren, wirklich Unterstützung gebrauchen. Und immerhin waren wir schon mal zu zweit. Falls mein Gegenüber überhaupt mitkommen würde, wenn ich doch noch losrannte. Während er de ängstliche Seite übernahm, versuchte ich Oberhand zu gewinnen und mich nicht von seiner Unsicherheit anstecken zu lassen. Langsam aber sicher funktionierte es ganz gut. Im Grunde war es wie ein Spiel. Immer das Gegenteil von dem sagen, was er behauptete. Schließlich hielt ich es nicht mehr aus. Bis sich mein Gegenüber entschied, war das Abenteuer da unten schon längst gelaufen. Und alle Welt forderte von mir, endlich einen Plan zu machen. Und genau das wollte ich nun auch tun: «Ist mir egal, was du machst.

Ich schau mir jetzt mal an, was da unten los ist», traf ich die wohl wichtigste Entscheidung meines Lebens.

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8 Gedanken zu „7. Türchen – Der Freund“

  1. Hihi, da hast du gestern ja lang durchgehalten um quasi live bei der Türchen Veröffentlichung online zu sein 🙂

    Es freut mich, dass dir der Kalender bisher gefällt. Ich hoffe, das bleibt auch weiterhin so.

    viele Grüße

    Emma

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  2. Du baust die Geschichte sehr interessant auf! Wir alle wissen ja wer sich bereits am See befindet…einen Dank für den Wissensvorsprung! Ich bin richtig gespannt wie es weitergeht!

    Die Grafikerin

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  3. Wissensvorsprung? Ich bin irritiert und entschuldige mich einfach mal für unabsichtliche Spoiler 🙂
    Es freut mich, das du Zeit und Lust zum Lesen gefunden hast.
    viele Grüße
    Emma (jetzt wollte ich doch gerade meinen richtigen Namen hin schreiben… 🙂 )

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