Türchen 24: Marlenes Gäste

ein Kranz in dessen Mitte eine 24 steht.23. Dezember 18:00 Uhr

»Marlene! Oh mein Gott!« Die drei Suchenden waren beinahe gleichzeitig bei Marlene angekommen, die sich in den Sitz ihres neuen Rollators gekuschelt hatte. Langsam aber sicher kühlte der Sitz ab.
Da erwachte Rudy wieder zum Leben. »Gefahrenobjekt wird lokalisiert und zerstört in 5… 4…«, redete Rudy drauf los.
»Moment! Das hättest du wohl gerne. Kurt Programm beenden!«, befahl Olli schnell.

Es reichte gerade noch um von Kurt ein abgehaktes »Tschö Bro«, zu hören zu bekommen.
»Was haben Sie sich dabei gedacht?«, entfuhr es Renate.
»Oma, deine Rätsel waren auch schon mal besser«, entgegnete Lilly müde.
»Ich muss sagen, die Brille ist spitze.«

24. Dezember: 18:00 Uhr

Marlene und ihre Gäste saßen am Esstisch, der die Hälfte des Wohnzimmers ausfüllte. Annikas Weihnachtsbaum stand auf einem kleinen Tisch in einer Ecke des Raumes.

Die Teller von Marlene und ihren Gästen waren geleert. Die Weihnachtsgans hatte vorzüglich geschmeckt. Annika und Marianne hatten drei große Teller mit den mitgebrachten Haselnussmakronen und weiteren Keksen befüllt und auf dem Tisch verteilt.
Nachdem die Gruppen inklusive Marlene, am gestrigen Abend, in der Hütte angekommen waren, hatte sich Marlene gleich verabschiedet und verkündet, dass sie ins Bett gehen müsse. Zuvor hatte sie darauf bestanden, dass man keinen Arzt einbestellte.

Und so mussten Lisas provisorische medizinische Kenntnisse und Ollis Recherchen ausreichen, um herauszufinden, ob Marlene irgendwelche bleibenden Schäden davontragen würde.
Da sie aber am nächsten Morgen beim Frühstück schon wieder kräftig fluchte und kommandierte, rechneten alle damit, dass mit Marlene alles in bester Ordnung war.

Dennoch hatte sie die meiste Zeit des Tages in ihrem Zimmer oder mit belanglosen Gesprächen verbracht und so getan, als wären sie alle zu einem ganz normalen Ausflug in der Hütte versammelt.

Ihre Gäste waren sich über Marlenes Verhalten nicht ganz einig. Harald befand, dass Marlenes Reaktion ihr gutes Recht war und sie die Ereignisse wahrscheinlich selbst erst einmal verarbeiten müsse. Die Frauen, allen voran Gerda, Marianne und Annika forderten eine Erklärung, trauten sich aber nicht, Marlene darauf anzusprechen.

Und erstaunlicherweise war es Jürgen, der die ganze Gruppe beruhigte: »Meine Mutter ist nicht blöd. Sie hat sich das Ganze sicher auch anders vorgestellt. Warten wir also bis zum Weihnachtsabend ab. Wenn sie dann immer noch so tut, als wäre nichts gewesen, werden wir mit ihr reden.«

Und so war also der Heilige Abend angebrochen. Der Tag war wie im Fluge vergangen. Die Frauen hatten das Essen zubereitet und Renate war sehr glücklich, endlich ein Stück ihrer Gans verspeisen zu können.
Als die Gäste also am Tisch versammelt saßen, hatte es erst ein bisschen gedauert, bis die Gespräche in Gang gekommen waren. Nun war die Zeit angebrochen, in der jeder seinen eigenen Gedanken nachhing, oder mit der Verdauung des Essens beschäftigt war.

Ernst war der Einzige, der Mühe hatte wach zu bleiben. Seine Augen waren bereits halb geschlossen und er sehnte sich nach einem gemütlichen Platz am Kamin, an dem er kurz die Beine hochlegen konnte.
Da streckte Marlene ihre Hand nach dem noch nicht angerührten Wasserglas aus. »Ich befinde mich zu ihrer rechten Seite auf 01:00 Uhr!«

»Lisa! Hast du etwa Seniorengläser eingekauft? Na ja, ist ja auch egal. Ich muss mit euch reden«, ergriff Marlene das Wort.
Ihre Gäste blickten sie aufmerksam an.

»Es tut mir leid, dass ich euch so viel Ärger bereitet habe. Es war eine ziemlich blöde Idee, Herrin über mein eigenes Weihnachtsfest werden zu wollen. Ich dachte, es wäre eine nette Idee, das Fest gemeinsam mit euch zu verbringen. Und ihr habt alle so viele Potentiale, die ich nutzen wollte. Und ihr habt es einfach verdient, einen tollen Weihnachtsabend zu haben.«
»Potentiale, pah!«, grummelte Marianne und wurde von Marlene mit einem bösen Blick gestraft.
»Lilly, du bist die Einzige, die meine Rätsel annähernd entschlüsseln kann…«

»Du denkst immer, dass ich weiß, was du von mir willst. Dabei rufe ich meistens bei Marianne an und die erklärt mir dann, wie du denkst. Aber jetzt mal ehrlich: Was sollte das mit dem Adventskalender? Das mit den Symbolen habe ich ja noch verstanden«, unterbrach Lilly ihre Oma.
»Ha! Genau, das hatte ich miteinkalkuliert. Ich bin davon ausgegangen, dass meine Schwester all diese Gegenstände schon in eine richtige Reihenfolge bringt und Gerda die Hütte wiedererkennt und weiß, wo ihr hin müsst«, erklärte Marlene stolz.

»Also, hör mal! Das waren achtundvierzig Gegenstände. Als Lilly bemerkt hat, dass auch die Symbole auf der Schokolade von Bedeutung sein könnten, waren mindestens schon fünf Türchen vergangen. Und wir sind viel weniger Personen! Das übersteigt meine Kompetenzen. Entschuldige bitte, aber auch ich werde älter!«, rief Marianne aus.
»Die wesentlichen Symbole hatten einen goldenen Rahmen«, brachte Marlene zu ihrer Verteidigung vor.
Lilly und Marianne stöhnten auf.
»Du hättest Lilly mal verraten sollen, dass das Bild des Adventskalenders auch wichtig sein könnte«, meinte Gerda.
Insgeheim gefiel ihr die Botschaft, die Marlene für sie versteckt hatte. Wenn ich nur geahnt hätte, dass ihr unsere Tradition so viel bedeutet, dachte sie glücklich. »Und ich wäre nicht im Traum darauf gekommen, dass du dich daran erinnern kannst, dass wir von einem Weihnachten hier in der Hütte geträumt haben«, fügte sie anerkennend hinzu.
»Und was ist mit mir? Warum habe ich die Brille erst so spät bekommen?«, fragte Olli neugierig.
»Mir war klar, dass du, Lilly und Christian irgendwie unter einer Decke stecken werdet. Und spätestens mit der Brille hättet ihr mich dann finden sollen. Und bevor ihr fragt, die Schneeschaufel sollte ein Indiz für viel Schnee darstellen und was es mit der Fahrkarte auf sich hat, habt ihr ja zum Glück selbst erkannt«, erklärte Marlene weiter.
»Darf ich die Brille behalten?«, platzte es aus Olli heraus.

Die Gäste lachten. Inzwischen hatte jeder verstanden, dass der Junge ein waschechter Technikfan war.
»Nur, wenn du sie nicht Jo nennst«, grinste Lilly und dachte an den »Schrunk« Kurt.
»Dein Weihnachtsgeschenk ist übrigens die Anleitung«, witzelte Chris.

»Aha, und mich wolltest du also nicht an deinem Weihnachtsfest bei dir haben«, kombinierte Jürgen nüchtern.
»Ach, Jürgen«, seufzten Annika, Marina, Marianne und Marlene, weil sie befürchteten zu wissen, welcher Rattenschwanz an Gedanken diese Aussage womöglich mit sich zog.
»Junge, ich habe dir die besten Winterreifen geschenkt. Und zwar damit du dich eine ganze Weile mit deiner Adoptivschwester…«

»Schwester, wenn ich bitten darf«, wurde sie von Jürgen unterbrochen.
»… meinetwegen Schwester in ein Auto setzt und dich auf den Weg hier her begibst. Hätte ich dich nicht dabei haben wollen, wäre Annika Mitglied im Team Residenz geworden. Darauf kannst du aber wetten«, meinte Marlene vehement.
»Aha, dann kannst du uns ja jetzt mal aufklären, was für einen Text dieses ominöse Lied hat«, meinte Harald.
»Na, denk doch mal an das Fahrzeug mit dem du die Hütte erreicht hast«, gab Marlene das Rätsel zurück.
»Eine Kutsche?«, fragte Harald.

»Schlitten!«, riefen die anderen Teammitglieder der Residenz aus.
»Im Übrigen, Marlene. Wir haben nur Instrumentalversionen in unserem Foyer. Wir wollen die Hörgeräte der Bewohner nicht unnötig durcheinander bringen, wenn sie neben der Sprache noch Liedtexte auseinanderhalten müssen. Die neueren Modelle neigen nämlich dazu, den Liedtext direkt auf das Ohr zu übersetzen«, erklärte Daniel.
»Na, das hätte mir mal einer früher sagen sollen«, stöhnte Marlene auf.
»Das mit den Übersetzungen steht in dem Kaufvertrag Ihres Hörgerätes«, erklärte Olli feierlich.

»Das heißt also, die Handschuhe waren ein weiteres Indiz für kaltes Wetter«, kombinierte Marina.
»Außerdem solltest du Daniel bei der Steuerung des Schlittens behilflich sein, wenn es brenzlig wird«, ergänzte Marlene.
Den Gästen war nicht ganz bewusst, warum es dazu Handschuhe brauchte, aber diese Frage schien niemandem wichtig genug, sie auszusprechen.

»Himmel, mit deinen ganzen Erklärungen könntest du ja ein ganzes Buch füllen«, rief Marianne aus.
»Bring mich bloß nicht auf Ideen.« Marlene musterte sie augenzwinkernd.
»Ich mache die Playlist«, lächelte Marlenes Schwester zufrieden. Marlene stöhnte auf und Gerda klatschte begeistert in die Hände.

»Kurzum: Ihr habt mir mit euren ganzen Fragen meine Rede versaut, an der ich den ganzen Tag gearbeitet habe. Im nächsten Jahr werdet ihr alle eine stinklangweilige und normale Einladung zum Weihnachtsfest bekommen.« Marlene endete und griff nach dem zum Glück nicht mehr plaudernden Wasserglas.

»Und wieso zum Henker wolltest du das Weihnachtsfest an diesem Ort feiern?«, fragte Jürgen schließlich.
»Na, weil du mich dazu inspiriert hast. Als ich einmal bei dir war, hattest du diese Urlaubsbroschüre aufgeklappt. Und da war diese Hütte. Ich wusste gar nicht, dass mein Heimatort eine Option für dich und Marina gewesen wäre«, antwortete Marlene wahrheitsgemäß.

Jürgen blickte betreten zu Boden.
»Im Ernst…«, setzte Marina gerade an.
Ein Klirren ertönte und ein See aus lauwarmen Tee breitete sich auf der Tischplatte aus, dessen Ursprung ans Ernsts Platz entstanden war.
»Habe ich was verpasst?«, fragte er verschlafen.
Die Gruppe lachte.

»Ich bin jedenfalls sehr froh, dass ihr mich gefunden habt. Ich wünsche uns allen einen schönen Weihnachtsabend und zwei wunderbare Feiertage.«

Und so liebe Leserinnen und Leser endet also meine chaotische, lebende Schnitzeljagd. Ich empfehle euch, dieses Projekt unter keinen Umständen im Winter zu wiederholen.

Hochachtungsvoll,

Marlene

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Emma hält das Printbuch von "Findet mich" in der Hand.
Bild von: Emma Zecka

Schreiberlinge,
ich habe euch ja noch versprochen, das Geheimnis um mein Weihnachtsprojekt zu lüften. Und hier ist es: Auf dem Bild seht ihr mich, wie ich ein aufgeschlagenes Hardcover Buch in den Händen halte. Und zwar handelt es sich hierbei um Marlenes Geschichte. Sechs Menschen dürfen sich über ein Exemplar von Findet mich – Die lebende Schnitzeljagd freuen.
Vielen Dank, dass ihr Marlene und mich in den letzten 24 Tagen begleitet habt und auch in den Kommentaren so aktiv mit dabei wart. Die Kommentare waren für mich ein kleiner inoffizieller Adventskalender, weil ich jeden Tag aufs Neue gespannt war, wer sich zu Wort meldet. Übrigens, das Gewinnspiel läuft noch ein bisschen.
Jetzt wünsche ich euch und euren Lieben aber erst einmal ein Frohes Weihnachtsfest und hoffe, Marlenes Geschichte hat euch gefallen und ihr seid auch im nächsten Jahr wieder mit dabei, wenn sich vielleicht wieder ein Adventskalender für Euch öffnet.

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9 Gedanken zu „Türchen 24: Marlenes Gäste“

  1. Letztes Türchen, letzte Worte… Ich habe Marlene ins Herz geschlossen, dank Dir, liebe Emma. Du hast sie mir mit dem diesjährigen Adventskalender in meine Realität katapultiert und ich könnte mir vorstellen, dass es mit ihr durchaus weitere Geschichten geben könnte! Danke für den stimmigen, runden Abschluss der Geschichte und … Danke für die letzten 24 Tage, die ich Morgens mit einer Tasse Tee in Marlenes Welt verbringen durfte!

    Frohe Weihnachten und schöne Festtage!

    Die Grafikerin

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  2. Liebe Grafikerin,
    ich habe ganz vergessen, oben im Post zu erwähnen, dass Du Deinen Namen behalten darfst. Ohne Dich wäre das Cover nämlich nicht so schick geworden. Das wird im Jahresrückblick nachgeholt. Und vielen Dank für Deine Rückmeldung. Es freut mich sehr, dass Dir der Abschluss in diesem Jahr besser gefallen hat. (Und… ich glaube aber, Du hast es bereits geahnt: Tut mir leid, wegen der Gans 🙂 ).
    Ich denke, ich werde heute Mariannes Playlist anwerfen und vielleicht noch etwas Zeit zum schreiben finden, bevor emion kommt.

    viele Grüße

    Emma

    PS: Ich brauche Dir hier keine Frohen Weihnachten zu wünschen, weil ich eigentlich einfach nur aufstehen, meine Zimmertür öffnen und FROHE WEIHNACHTEN nach unten brüllen müsste. Aber dann würde Dein Sohn aufwachen und wäre dann vermutlich nicht mehr so gut auf uns zu sprechen :-).

    Antworten
  3. Ach hallöchen, Emma,
    hiers Kaiser, der quasi Mooshammer von Jogi.
    Also der Jogi hat mir deine Geschichte empfohlen. Ich fond se gleich subber, gell !? Diese gaanse Ausschmückung der Charaktere,
    die Moasgeschneiderte Visualisierung, die Pointierung der Wesenszüge durch passende Kostümatik, dazu hier und da ein Hauch Parfäh,
    grandios designt, also ich find ährlich, die ghörn alle auf den Laufsteeg !
    Also, war mir eine Ehre,
    Kaiser, Herrenausstatter

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  4. Lieber Kaiser aka Jogis Herrenausstatter,

    super, dass der Kalender auch in der Schweiz – oder sollte ich eher sagen in Bayern? – gut ankam.
    Vielleicht bis zum nächsten Jahr!

    viele Grüße

    Emma

    Antworten
  5. Mädm Emma,
    vielen Dank für die Kekse, die sie mir geschickt haben.
    Ich muss sagen, meine Frau hätte sie nicht besser machen können !
    Für mich ist damit vorerst der Fall erledigt. Und bei leichten Restzweifeln, man denke an Marlenes Schwächeanfall,
    werde ich ab und zu mal aus der Ferne beobachten. Nicht dass noch was toxisches kommt.
    Also Mähm, es war mir ein Vergnügen, ich muss jetzt noch eine Runde drehen und dann den Hund vom Tierarzt holen.
    Frohes Schaffen weiterhin, ihr Inspektor Columbo, Sie dürfen mich auch Frank nennen ..

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  6. Herr Gott, sie haben ja den Schalk im Nacken,
    Thomas, warum haben Sie dieses kommödiantische Detail nicht erkannt ?!
    Am Schluß von Emmas Adventsgeschichte steht :

    Jürgen blickte betreten zu Boden.
    »Im Ernst…«, setzte Marina gerade an.
    Ein Klirren ertönte und ein See aus lauwarmen Tee breitete sich auf der Tischplatte aus, dessen Ursprung ans Ernsts Platz entstanden war.
    »Habe ich was verpasst?«, fragte er verschlafen.
    Die Gruppe lachte.

    Herr Gottschalk, hier könnten Sie sich mal ein Beispiel nehmen. Ein weltbewegendes Ereignis wird
    humoristisch aufgelockert. Kennzeichen jeder darbietenden Kunst.
    Ein Meisterwerk.
    Vergleichbar mit den Stadionheften des SC Freiburg, dem Grundgesetz, und Charles M. Schulz !

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