Rath

Das Hörbuchcover von "Rath" dem letzten Band der Rath-Reihe.
Bild von HörbuchHamburg Verlag

Der Inhalt

Hierbei handelt es sich um meine Rezension zum letzten Band der Rath-Reihe. Ich werde nicht inhaltlich spoilern, setze das Wissen aus den vorherigen Bänden für meine Rezension aber voraus.

Es ist nicht leicht, den Inhalt hier kurz zusammenzufassen, weil es der Klappentext für mich irgendwie nicht ganz trifft: Familie Rath ist getrennt. Gereon muss im Verborgenen bleiben, denn Sebastian Torno wartet nur darauf, sich endlich an ihm rächen zu können.

Charly möchte ihrem ehemaligen Pflegesohn Fritze helfen. Sein aktueller Pflegevater Rademann erpresst den Jungen. Und als wäre das nicht genug verändert sich nicht nur die Gesellschaft, sondern auch die politische Situation in Deutschland.

Diese Handlung hat mich sehr beschäftigt und zwar aus zwei Gründen:

Zum einen wissen wir, worauf die Rath-Reihe zusteuert. Der Zweite Weltkrieg wird kommen und oft habe ich mir die Frage gestellt, ob die Figuren, die ich ins Herz geschlossen habe, dem Krieg noch rechtzeitig entkommen können.

Zum anderen, weil die politische Situation leider recht aktuell ist. Auch heute gibt es Menschen, die das glauben, was andere Leute sagen, ohne diese Inhalte zu hinterfragen. Es gibt Menschen, die sich wünschen, das andere für sie entscheiden, weil das scheinbar einfacher ist, als selbst Entscheidungen zu treffen und diese auch zu vertreten.

Volker Kutscher hat in dieser Handlung so vieles zusammengebracht:

Einen letzten großen Kriminalfall, den es zu lösen gilt. Eine Figur verstirbt durch mysteriöse Umstände. Was mir sehr gut gefallen hat war, dass Volker Kutscher damit dem Thema Euthanasie Sichtbarkeit gibt und darüber aufklärt, dass Menschen, denen politisch das Recht auf Leben abgesprochen wurde, systematisch ermordet wurden.

Im Kriminalfall im letzten Rath-Band war es beispielsweise die Überdosis eines bestimmten Medikamentes, das zum Tod führte. Was die Todesursache betraf, dachte man sich einfach etwas aus. Die Angehörigen würden schon nicht nachfragen. Leider hatten sie die Rechnung an dieser Stelle ohne Charly gemacht.

Historische Ereignisse mit fiktiven Figuren: So wird Rath beispielsweise von einer realen Person geholfen, die politisch im Nachkriegsdeutschland eine wichtige Rolle spielen wird.

Zwei Jungen, die sich vorgenommen haben, aus Deutschland zu fliehen, beobachten, wie eine große Gruppe Jüd*innen zwischen der polnischen und der deutschen Grenze hin und her geschoben wird. Mitten in der Nacht wurden sie aus ihren Betten geworfen. Weder Deutschland noch Polen möchte ihnen ein Zuhause geben.

Was Volker Kutscher hier gekonnt herausarbeitet ist das Thema Gerechtigkeit, insbesondere dem moralischen Handeln, das sich je nachdem, aus welcher Perspektive man eine Situation betrachtet, ganz schnell ändern kann. So war sich der Arzt, der oben genannte Figur ermordet, keiner Schuld bewusst. Er hat nur die nationalsozialistische Ideologie befolgt und leider völlig verdrängt, dass er einen Menschen vor sich hatte, der ein Recht auf Leben hat.

Dann gab es Momente in denen meine Lieblingsfiguren moralisch fragwürdig handelten. Jedoch konnte ich diese Aktionen sehr gut nachvollziehen, weil diesen Figuren zuvor Ungerechtigkeit widerfahren ist und ich mir ebenfalls Gerechtigkeit wünschte auch wenn sie hier nur im Kleinen umgesetzt werden konnte. Das hat nur funktioniert weil Volker Kutscher die Antagonisten so unsympathisch wirken ließ, dass es mir nichts ausmachte, dass ihnen Unrecht meist in Verbindung mit Gewalt widerfahren ist. Und genau das ist die Schwierigkeit dabei: Kutscher zeigt hier, dass Figuren, die wir mögen, auch fragwürdig handeln, aus der Idee heraus, das Richtige zu tun.

Das macht die Antwort auf die Frage, was richtig und was falsch ist, nicht gerade einfacher. Was ich aus dieser Handlung mitnehme: Wir sollten nie vergessen, dass wir es mit Menschen zu tun haben. Das heißt nicht, dass wir alle Menschen mögen müssen. Jedoch sollten wir andere Lösungen finden, als Leuten den Tod zu wünschen und vor allem andere Meinungen akzeptieren.

Die Figuren

Die Hauptfiguren in der Rath-Reihe sind zwar fiktiv, jedoch hatte ich das Gefühl, dass diese fiktiven Figuren stellvertretend für all diejenigen standen, die sich gegen die politischen Veränderungen gewehrt und eine Lücke im System gesucht haben um anderen Menschen zu helfen.

Volker Kutscher wirft die Figuren in Situationen, die sie in Gefahr bringen. Alle Figuren wollen die Menschen verteidigen, die sie lieben und für Gerechtigkeit sorgen. So setzt sich Charly für politisch verfolgte Personen ein oder hilft gemeinsam mit ihrem Chef jüdischen Menschen das Land zu verlassen. Doch Charlys Wunsch nach Gerechtigkeit wird immer schwieriger umzusetzen. Die Steine, die man ihr in den Weg rollt, werden immer größer. Es bleibt also die Frage: Soll sie nicht lieber rechtzeitig das Land verlassen? Aber was wird dann aus Fritze?

Was den Handlungsstrang von Charly so spannend macht ist aus meiner Sicht nicht ihre Entwicklung, sondern die Widerstände von außen, die immer größer werden und sie herausfordern neue Lösungsstrategien zu entwickeln. Das wird immer schwieriger, weil sie nicht mehr weiß, wem sie in Berlin noch vertrauen kann.

Fritze schafft es nicht einer Gruppe gleichaltriger Juden Gewalt anzutun. Er sieht keine Notwendigkeit darin. Schließlich haben sie ihm ja nichts getan. Von einem Jungen, der sich nichts sehnlicher wünschte, als endlich zu einer Gruppe zu gehören, arbeitet Volker Kutscher hier wunderbar heraus, dass Fritze in erster Linie sich treu bleibt und nicht alles glaubt, was man so erzählt. Gerade seine Entwicklung über die gesamte Reihe hinweg hat mich sehr beeindruckt.

Gereon Rath, der ursprünglich mal die Hauptfigur der Reihe war, wurde in diesem Band zur Nebenfigur. Ich muss gestehen, dass ich das nicht wirklich schlimm fand, weil er mich als Figur nicht so sehr interessierte. Vielleicht lag es auch daran, dass ich mit der Zeit herausgefunden habe, dass in den gekürzten Hörbüchern viele Nebensätze fehlten, die Raths Charakter noch besser beschreiben. Während ich ihn in manchen Bänden recht sympathisch und nur manche Aktionen fragwürdig fand, wurde mir von anderen Menschen erzählt, dass Rath ja eigentlich ein Egoist sei, der vor allem an sich denkt.

Obwohl Volker Kutscher das Ende sehr offenlässt, konnte ich trotzdem erahnen in welche Richtungen sich das Leben der Figuren weiterentwickelt. Einige sind in Sicherheit, andere bleiben weiterhin in Gefahr und ich hoffe sehr, dass Volker Kutscher vielleicht noch den ein oder anderen Einzelband schreibt und somit einer Figur ein einigermaßen gutes Ende schenkt.

Die Hörbuchgestaltung

Das Hörbuch ist sowohl in gekürzter Ausgabe und als CD als auch als ungekürzte Ausgabe und als Download im HörbuchHamburg Verlag erschienen. Ich weiß nicht, ob meine Wahrnehmung hier stimmt, aber ich hatte gerade bei den letzten Bänden nicht den Eindruck, dass viel Inhalt in den gekürzten Hörbüchern wegelassen wurde.

Es hat mich sehr gefreut, dass der Verlag alle Bände auch als CD in einer Digifile Hülle produziert hat. Während ein Verlagswechsel während einer Reihe Veränderungen im Buchformat bedeuten kann, passen die Rath-Bände in meinem Hörbuchregal schön nebeneinander.

Auch beim letzten Rath-Band gab es ein Wiederhören mit David Nathan. Ich wünsche mir wirklich, dass er für diese Lesung mit einem Hörbuchpreis ausgezeichnet wird. Durch seine Interpretation hat er die Konflikte in der Handlung, die Fassungslosigkeit der Figuren über das Unrecht, das ihnen oder anderen Menschen geschieht und diese große bedrohliche Wolke, die über allem schwebte, in Worte fassen können.

Der Schreibstil

Volker Kutscher hat mich mit seinem Schreibstil beeindruckt: Er erzählt hier nicht nur ein letztes Mal einen Kriminalfall, sondern auch Konflikte auf mehreren Ebenen: So erleben wir die Figuren nicht nur in Konflikten miteinander, sondern auch die Konfliktebene Figur gegen die Gesellschaft. Sehr gefreut hat es mich, dass er mit dem Kriminalfall eine Art Kreis schloss und wir ein letztes Mal gemeinsam mit uns liebgewonnenen Haupt-, und Nebenfiguren ermittelten.

Durch die verschiedenen Perspektiven aus denen der letzte Rath-Roman erzählt wird, zeigt Volker Kutscher, wie sich die politischen und gesellschaftlichen Veränderungen auf unterschiedliche Leben auswirken und arbeitet auch heraus, welche Ungerechtigkeit in dem Ganzen steckt. Dadurch, dass wir viele Figuren schon so lange begleiten, hatte Volker Kutscher viele Möglichkeiten ihre Entwicklung herauszuarbeiten und nicht nur zu zeigen, wie sich eine Gesellschaft, sondern auch die Figuren, die in ihr leben, verändern können. Und nicht alle Veränderungen sind gut.

Gesamteindruck

Mit der Rath-Reihe zeigt Volker Kutscher wie sich eine politische Lage Stück für Stück verändern kann. Ohne, dass wir es merken. Erst als es auch den letzten Personen klar wird, ist es zu spät etwas am System zu ändern, weil die Strukturen bereits geschaffen und auch etabliert sind.

Ich wünsche mir sehr, dass diese Reihe von möglichst vielem Menschen entdeckt, gelesen oder gern auch gehört wird und wir wachsamer für das werden, was um uns herum passiert.

Wer literarisch gern nach Berlin reist, sich für Familiengeschichten inklusive dem ein oder anderen Geheimnis interessiert und auch Freude an Kriminalfällen hat, die nebenher gelöst werden, findet mit der Rath-Reihe ein neues literarisches Zuhause.

Infos zum Hörbuch

Rath
Geschrieben von: Volker Kutscher
Gelesen von: David Nathan
Bewertung: 5 von 5 Herzen

Leider kann das gekürzte Hörbuch als CD-Ausgabe nicht in meiner Lieblingsbuchhandlung bestellt werden. Warum? Dieses Mysterium habe ich noch nicht gelöst.

Hier findet ihr mehr Infos über Volker Kutscher.

Hier findet ihr mehr Infos über David Nathan.

Und hier findet ihr mehr Infos zur Rath-Reihe.

Weitere Bände

Der nasse Fisch* (Band 1)
Der stumme Tod (Band 2)
Goldstein (Band 3)
Die Akte Vaterland (Band 4)
Märzgefallene* (Band 5)
Lunapark (Band 6)
Marlow (Band 7)
Olympia (Band 8)
Transatlantik (Band 9)

Weitere Romane aus dem Rath Universum:

Moabit
Mitte

Die mit * markierten Hörbücher wurden mir als Rezensionsexemplar kostenlos zur Verfügung gestellt.

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