
Hallo zusammen,
in regelmäßigen Abständen treffe ich mich mit den Mitarbeitenden verschiedener Hörbuchverlage um mir die Neuerscheinungen vorstellen zu lassen. Der Tenor ist eindeutig: CD Verkäufe sind rückläufig und die Downloadtitel sowie das Streaming sind erfolgreicher wie nie zuvor.
Jedoch hat das einen großen Nachteil: Ein digitales Hörbuch lässt sich nicht in einer Buchhandlung ausstellen. Folglich schrumpfen die Hörbuchabteilungen oder die Hörbücher werden ganz aus dem Sortiment genommen. Daher stelle ich mir die Frage: Verliert das Hörbuch damit langfristig an Sichtbarkeit?
Fakten zum Hörbuchmarkt
Ein Blick auf die Statistik
»Ein Hörbuch ist von einem:einer Sprecher:in vertonte Literatur.«
(Statista, 2024).
Der Trend in Richtung Hörbuch begann 2017 (vgl. Börsenblatt, 2018). So wurden fleißig Hörbuch-CDs (physische Titel) und Downloadtitel gekauft. Zudem wurde festgestellt, dass das Hörbuch das digitale Produkt ist, das am schnellsten wächst (vgl. ebd.).
Wer glaubt, dass sich junge Menschen nicht mehr für Literatur interessieren, wird beim Hörbuch eines Besseren belehrt. 2017 waren 48% der Hörenden jünger als 35 Jahre (vgl. ebd.).
Lena de Riese von USM Audio, einem Unternehmen bei KOSMOS, erlebt, dass die Zielgruppe ab 16 Jahren beginnt. Stephanie Mende (Lübbe Audio) stellt fest, dass durch den New Adult Trend die Lücke zwischen Kindern und Erwachsenen geschlossen wird (vgl. Digital Publishing Report, 2023).
Zudem stellt Harald Krewer (Speaklow) fest, dass jüngere Hörende viele Hörbücher hören, aber hier mehr Wert auf Schnelligkeit und oberflächliches Hören legen (vgl. ebd.).
Jedoch bedeutet das nicht, dass die Aufmerksamkeitsspanne generell sinke. Stephanie Mende (Lübbe Audio) stellt fest, dass ungekürzte Hörbücher beispielsweise mit einer Laufzeit von 15 oder mehr Stunden zu den Bestsellern von Bastei Lübbe Audio gehören. Hier nennt sie vor allem historische Romane wie die Titel von Rebecca Gable oder auch Ken Follett als positive Beispiele (vgl. ebd.).
2019 bestimmten die physischen Hörbücher noch 40% des Umsatzes. Zwei Jahre später waren es nur noch 23% (vgl. Deutschlandfunk, 2022);
»Jeder dritte Deutsche hört inzwischen zumindest hin und wieder Hörbücher und Podcasts, und zwar im gesamten Altersspektrum.«
(Ann Vielhaben, 2022).
Im Jahr 2021 hörten etwa 2,5 Millionen Menschen in Deutschland mehrmals in der Woche Hörbücher (vgl. 6).
74% aller Menschen in Deutschland nutzen Hörbücher und Podcasts. Auch 2023 ist der Umsatz von Hörbüchern im ersten Halbjahr angestiegen. Allerdings ist das Wachstum nur durch Hörbuch-Downloads und Streaming-Angebote erzielt worden (vgl. Statista, 2024).
3,4 Millionen Menschen kauften im Jahr 2023 digitale Hörbücher. Zum Vergleich: Drei Jahre zuvor waren es nur 1,8 Millionen Menschen (vgl. Musikwoche, 2024).
Der Umsatz von CDs ist 2023 erstmals unter die 10% Marke gerutscht (vgl. buchreport, 2023). Die Downloadtitel machen etwas über die Hälfte des Umsatzes aus, während die Streamingtitel 39% des Umsatzes bestimmen (vgl. ebd.).
Der Erfolg von Hörbüchern ist auch daran zu erkennen, dass immer mehr Verlage in die Hörbuchproduktion einsteigen. Es gibt zudem ein Wachstum der Genres Young Adult, New Adult und Romance, was man zum einen durch die Sichtbarkeit im Handel bemerke, aber aus Sicht der Verlage, auch bei der Lizenzvergabe, weil es inzwischen mehr Verlage gibt, die Titel aus diesen Genres gern produzieren wollen (vgl. Digital Publishing Report, 2023).
Auch Selfpublisher, die ihre Titel ohne einen Verlag im Rücken veröffentlichen, wollen von dem Erfolg des Hörbuches profitieren. So hat Chris Kling von der Klangkantine immer mehr mit Selfpublishern zu tun, die ein professionell produziertes und vertriebenes Hörbuch möchten (vgl. ebd.).
Die Sache mit dem Streaming
Was den Wegfall der CD Verkäufe betrifft, ist man sich in der Hörbuchbranche uneinig. Harald Krewer (Speaklow) erzählte, dass der fehlende Umsatz der CD Verkäufe kaum durch Downloadtitel oder Streaming kompensiert werden könne (vgl. Digital Publishing Report, 2023).
Colin Hauer (Hörbuch Hamburg) stellt fest, dass der Erlös, der durch Streaming verdient werde, im letzten Jahr stark zugelegt hat (vgl. ebd.).
Robert Wildgruber (Verlagsleiter Der Hörverlag/Random House Audio/cbj Audio) findet, dass die wegfallenden CD Käufe durchaus durch den Kauf von Downloadtiteln kompensiert werden können. Im Streaming sind die Titel der Hörbuchverlage von Penguin noch nicht vertreten, da das Streaming aus seiner Sicht weder nachhaltig noch zukunftsfähig sei (vgl. ebd.).
Oliver Pux (Aufbau) kann die Beliebtheit des Streamings nicht ignorieren. Jedoch stellt er fest, dass die Streamingportale auch eine große Konkurrenz darstellen, da sie auch eigene, nur auf dem Streamingportal verfügbare, Produktionen anbieten (vgl. ebd.).
Da die Vergütungen im Streaming so gering sind, trägt der Verlag laut Lena de Riese (USM Audio) ein bestimmtes Risiko. Für die Arbeit im Verlag bedeutet das, dass man Nischenprodukten weniger Chancen geben könne und vor allem die Titel produziere, von denen man wisse, dass sie ein breites Publikum erreichen (vgl. ebd.).
Probleme, die ich sehe
Aufgrund der derzeitigen Entwicklungen sehe ich mehrere Probleme, welche auf die Hörbuchbranche zukommen werden:
Die Zielgruppe
Stephanie Mende (Lübbe Audio) findet es wichtig, dass die Hörbücher dort zu finden sind, wo sich die Zielgruppe sowieso schon aufhält. Es soll kein Ausschluss von bestimmten Vertriebskanälen stattfinden, da das automatisch auch die Zielgruppe einschränke (vgl. Digital Publishing Report, 2023).
Im Marketing gibt es immer eine Hauptzielgruppe anhand der man die Marketingstrategie ausrichtet. Wenn noch Personen auf das Produkt aufmerksam werden, die zwar nicht zur Hauptzielgruppe gehören, ist das natürlich umso schöner.
Da immer mehr Downloadtitel gekauft oder Hörbücher gestreamt werden, klingt es daher für mich auf den ersten Blick nachvollziehbar, dass vor allem die digitale Sparte weiter ausgebaut wird.
Durch den großen Anteil an Download- und Streamingtitel setzen die Verlage voraus, dass ihre Zielgruppe auch digital unterwegs ist. Menschen, die gerne Hörbücher hören, aber kein Smartphone besitzen oder unerfahren im Umgang mit Apps wie Spotify, BookBeat oder Audible sind, werden hier also langfristig von der Hörbuchwelt ausgeschlossen.
Wahrscheinlich werdet ihr jetzt die Köpfe schütteln und euch fragen, ob es überhaupt Menschen gibt, die das betrifft. Ich kenne Menschen, die ungern online einkaufen, oder die es überfordert sich online für ein Hörbuch zu entscheiden und sich dieses Hörbuch dann herunterzuladen bzw. auf ein Smartphone oder einen MP3 Player zu übertragen.
Hinzu kommt auch, dass die Onlineshops der großen Buchhandlungen, über die Hörbuch-Downloads größtenteils bezogen werden, barrierefrei sein müssen, damit blinde und sehbehinderte Menschen selbstständig shoppen können. Spoiler: Natürlich sind die wenigsten Shops barrierefrei.
Blinde und sehbehinderte Menschen greifen immer wieder auf Apps wie Spotify oder auch Audible zurück, die bequem vom Smartphone aus bedient werden können. Hinzu kommt auch, dass Amazon wohl recht viel Wert auf Barrierefreiheit legt. Dennoch: Auch hier wird vorausgesetzt, dass die Zielgruppe digital unterwegs ist.
Hinzu kommt auch, dass ein Verlag an einem gekauften Titel über Audible weniger verdient als an einem Hörbuch, das über eine Buchhandlung gekauft wurde.
Oliver Pux (Aufbau) möchte die Menschen erreichen, die im Alltag eine Zeit mehr haben, ein Buch in die Hand zu nehmen (vgl. Digital Publishing Report, 2023).
Was mir an diesem Gedanken gefällt ist, dass die Zielgruppe möglichst groß gedacht wird und man sich nicht auf die digitale Generation beschränkt.
Sichtbarkeit im Buchhandel
Wenn also nur noch eine geringe Anzahl an Hörbüchern als physische CD produziert wird, wird dadurch der Hörbuchmarkt aus meiner Sicht einseitig dargestellt. Es könnte der Eindruck entstehen, dass es nur noch bestimmte Titel als Hörbuch gibt, wie beispielsweise vor allem literarische Titel, deren Zielgruppe noch zur Generation CD-Player gehört.
Wenn aber beispielsweise ein Hörbuch für Jugendliche gesucht wird, könnte die Person leer ausgehen, weil es den neusten Fantasyroman eben nur noch im Streaming gibt.
Aus meiner Sicht besteht daher die große Gefahr, dass das Hörbuch im stationären Buchhandel zunehmend unsichtbar wird und die Titel somit der Zielgruppe entgehen, die gern die örtlichen Buchhandlungen unsicher macht.
Geringes Honorar
Colin Hauer (Hörbuch Hamburg) möchte ebenfalls eine große Zielgruppe erreichen, die Titel von HörbuchHamburg aber auch vor allem zu fairen Konditionen anbieten können (vgl. Digital Publishing Report, 2023).
Dass die Vergütungen im Streaming sehr gering sind, ist kein Geheimnis. Aktuell bekommt man pro gestreamten Track weniger als einen Cent. Hinzu kommt auch, dass die Streamingportale an den Gewinnen beteiligt werden. Das heißt, so zumindest meine These, dass am Ende weniger Honorar für die Autor*innen übrig bleibt.
Wie bekommt das Hörbuch mehr Sichtbarkeit?
Ich frage mich nicht nur, wie das Hörbuch auch außerhalb der digitalen Welt mehr Sichtbarkeit bekommt, sondern wer diese Sichtbarkeit gewährleisten kann. Ist es die Aufgabe der Verlage den Buchhandlungen Material zu liefern? Oder liegt es in der Verantwortung der Buchhandelnden, wie sie sich der Problematik stellen?
Ich habe mich zu dieser Fragestellung mit einer jungen Buchhändlerin unterhalten, die spannende Ideen liefert, die ich hier weiterdenken möchte:
Autogrammkarten der Hörbuchsprechenden oder Postkarten
Die Karten können dann neben dem Printbuch auf dem Büchertisch platziert werden. Hier gibt es mehrere Möglichkeiten wie die Karten gestaltet werden können:
Hörbuchsprechende
Auf den Karten könnte ein Zitat der Person zu lesen sein, die das Hörbuch eingelesen hat. Die Karte könnte aber auch als Autogrammkarte des Hörbuchsprechenden mit einem Hinweis auf das aktuelle Hörbuch dienen.
Da viele Hörbuchsprechende auch Schauspielende sind, kennen viele Menschen sie wahrscheinlich nicht nur aufgrund ihrer Stimmen. Daher erhoffe ich mir von diesen Karten auch eine Art Wiedererkennungswert.
Postkarten
Auf den Postkarten könnte entweder das Hörbuchcover oder auch ein spannendes Zitat aus dem Hörbuch zu sehen sein. Etwas, das mich neugierig macht. Dadurch, dass es eine Postkarte ist, gewinnt die Karte an Mehrwert, weil wir sie weiterverschicken können.
Zudem könnte man die Karte wie eine Art Charakterkarte gestalten und beispielsweise die Hauptfigur vorstellen, oder Fakten über das Hörbuch auf der Karte drucken.
Lesezeichen
Auf dem Lesezeichen ist neben einem Zitat aus dem Hörbuch auch ein QR Code platziert, der uns direkt zur passenden Seite führt auf der das Hörbuch gekauft, oder heruntergeladen werden kann. Ja, auch das setzt voraus, dass die Zielgruppe über ein Smartphone verfügt und weiß, was sie mit einem QR Code machen kann. Da aber der Titel des Hörbuches auf dem Lesezeichen zu finden ist, können sich die Personen unabhängig von einem Spotify Konto über den Titel informieren.
Dennoch hat das Lesezeichen somit eine doppelte Funktion: Zum einen kann es für das klassische Buch verwendet werden, hat durch den QR Code zum anderen aber auch einen Mehrwert zum herkömmlichen Lesezeichen.
Sitzgelegenheiten mit Kopfhörern und Tablets
Mein Lieblingsbeispiel kommt hier aus dem Argon Verlag. Auf der Frankfurter Buchmesse bringt der Verlag eine Art Strandkorb-Sitzmöglichkeit mit, in dem man bequem in den Titeln des Argon Verlags stöbern und direkt in die Hörproben reinhören kann.
Dieses Konzept wünsche ich mir auch mit den Titeln anderer Verlage. Somit würde die Hörbuchabteilung weiterhin an Sichtbarkeit im stationären Buchhandel gewinnen, weil viele bequeme Sitzmöglichkeiten in einer Buchhandlung auffallen und auch dazu einladen zu verweilen.
Durch die Sitzmöglichkeit, in der viele Hörproben enthalten sind, wird auch platzsparend gedacht, weil viele Titel an einem Ort platziert werden können und es eben keine Regalreihen, sondern vor allem eine gemütliche Sitzecke braucht.
Lesungen mit Hörbuchsprechenden
Ich sage es nur ungern aber nicht alle Autor*innen können auch gut lesen. Im Rahmen einer Lesung könnte man auch die Hörbuchsprechenden einladen um dadurch auch neugierig auf das Hörbuch zu machen.
Hörbuchboxen
Für alle Nerds wie mich, die sich gern eine CD ins Regal stellen, könnten Verlage CD lose Hörbuchboxen anbieten. Die Hörbuchverlage von Penguin haben bereits einige dieser Boxen produziert. Jedoch ist das Format hier etwas unglücklich gewählt. Es handelt sich nämlich um kein klassisches CD Format, sondern erinnert eher an das Format einer DVD.
Fazit
Ellen Voráč, Senior Manager Audiobooks bei Deezer für Deutschland, Österreich und die Schweiz meint, dass die drei Bereiche, nämlich Streaming, der Kauf von digitalen Hörbüchern und das physische Hörbuch voneinander profitieren können. Durch die Platzierung bestimmter Hörbücher auf der Startseite von des Streaming-Anbieters Deezer wurde ein jüngeres Publikum angesprochen und zum Hörbuch hören motiviert (vgl. börsenblatt, 2018).
Stephanie Mende (Lübbe Audio) erlebt, dass es nach wie vor ein großes Interesse an physischen Produkten gibt, wenn diese etwas Besonderes mitbringen. So produzierte der Verlag beispielsweise zum Jubiläum der Hörspielserie John Sinclair Picture-Vinyl „Villa Wahnsinn“ (vgl. Digital Publishing Report, 2023).
Robert Wildgruber (Verlagsleiter Der Hörverlag/Random House Audio/cbj Audio) will weiterhin an Titeln auf CD festhalten. Die Verlage setzen hier unter anderem auf Fan-Editionen ohne CDs aber dafür mit zum Hörbuch passenden Goodies und einem QR Code unter dem das Hörbuch heruntergeladen werden kann (vgl. ebd.). Der Vorteil ist, dass hier der Wunsch nach einem schönen Produkt mit der digitalen Komponente verbunden wird.
Wildgruber und Colin Hauer (Hörbuch Hamburg) wünschen sich, dass die digitalen Medien im Bereich Kinderhörbuch präsenter werden. Wildgruber nennt hier als positives Beispiel die Tonies, weil Kinder dadurch weiterhin etwas haptisches haben, aber das Hörbuch selbst digital ist (vgl. 5).
Es freut mich, dass man bei den Hörbuchverlagen von Penguin und auch bei Bastei Lübbe Audio weiterhin offen gegenüber physischen Lösungen ist. Dennoch bin ich gespannt, wie sich der Hörbuchmarkt in den nächsten Jahren entwickeln wird und ob es langfristig eine Rückkehr zu mehr physischen Lösungen geben wird.
Quellen:
- Börsenblatt (21.01.2018): »Der Hörbuchmarkt: Voll krass«. Zu lesen auf dieser Seite:
- Deutschlandfunk (13.10.2023): »Hörbuch-Markt wächst weiter kontinuierlich« auf dieser Seite zu lesen.
- Ann Vielhaben (18.10.2022). »Der Markt für Hörbücher wächst beständig«, auf dieser Seite zu lesen.
- buchreport (13.10.2023): »Media Control bescheinigt Hörbuch weiteres Wachstum« auf dieser Seite zu lesen.
- Digital Publishing Report (10/2023): »Die Zukunft des Hörens«, auf dieser Seite zu lesen
- Statista (28.02.2024): zu lesen auf dieser Seite.
- Musikwoche, Redakteurin Lisa Nehrkorn (05.07.2024): »Digitale Formate bescheren Hörbuchmarkt Umsatzwachstum«, auf dieser Seite zu lesen.
Und Du?
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