Das Einhörnchen das rückwärts leben wollte

Das Hörbuchcover von "Das Einhörnchen das lieber rückwärts leben wollte"
Bild von der Hörverlag.

Der Inhalt

Meine Vorfreude auf Das Einhörnchen, das rückwärts leben wollte war sehr groß. Der Klappentext klang vielversprechend und gab mir das Gefühl, dass sich Walter Moers in dieser Kurzgeschichtensammlung mit aktuellen Fragen auseinandersetzt, allen voran dem Thema Identität.

Außerdem rechnete ich damit, dass ich gar nicht erst nach einer Definition der klassischen Fabel suchen müsse, um Walter Moers Kurzgeschichten verstehen zu können. Schließlich wird im Titel ausdrücklich von Flabeln gesprochen. Warum sich dennoch ein Blick auf die Definition einer zamonischen Flabel lohnt, verrate ich euch in dieser Rezension.

„Die Lachfabel, abgekürzt »Flabel« genannt ist der Definition des Regelwerks der zamonischen Literatur zufolge eine humorvolle Kurzgeschichte mit zamonischen Daseinsformen, die mindestens sieben Schmunzler, drei Lacher und ein Scherzfinale enthalten sollte.“
(Quelle: Interview mit Walter Moers zu lesen auf dieser Seite).

Diese Definition lässt mich mit gemischten Gefühlen zurück. Sie verspricht eine humorvolle Handlung. Sieben Schmunzler pro Kurzgeschichte und dazu noch ein großes Scherzfinale. Genau das wünsche ich mir von humorvollen Geschichten.

Leider habe ich die Definition erst nach Beenden der Kurzgeschichtensammlung entdeckt. Daher bin ich auch ein bisschen verärgert, weil ich den Eindruck habe, dass es sich Walter Moers mit dieser Definition sehr einfach gemacht hat. Vorweg: Bei den wenigsten Kurzgeschichten habe ich überhaupt schmunzeln oder gar lachen müssen.

Einzig und allein fünf Flabeln bringen ein Happy End mit sich. Happy End definiere ich an dieser Stelle so, dass den Hauptfiguren der Flabeln kein tragisch, plötzliches, tödliches Ende bevorsteht. Die meisten Flabeln enden für mich zu abrupt und sind auch düster erzählt.

In zwei Flabeln habe ich die Generation wiedererkannt, die von der Social Media Welt als die Generation des alten weißen Mannes bezeichnet wird: So wünscht sich in einer Flabel eine fleischfressende Pflanze sich vegetarisch ernähren zu können. Daraufhin beginnt eine Diskussion über verschiedene Ernährungsweisen, die eine teils schräge und auch absurde Wendung nimmt und mir als Hörende das Gefühl vermittelt, wie schräg manche Ansichten sind.

In einer anderen Flabel treffen wir auf zwei Brüder, die den Schritt in Richtung eigenständiges Leben nicht wagen möchten und es argumentativ so auslegen, dass ihre Eltern weiterhin verantwortlich bleiben sollen. Gerade mit dieser Flabel hatte ich meine Mühe, glaube aber, dass mir hier wahrscheinlich die Eltern-Perspektive fehlt.

Schön finde ich, wie offen Moers bestimmten Fragestellungen begegnet.

So lernen wir beispielsweise einen Trollbluthund kennen, der gerne eine Kratze wäre. Walter Moers stellt dies nicht etwa in Frage und sorgt dafür, dass der Trollbluthund mit dem Dasein eines Trollbluthundes zufrieden ist. Stattdessen arbeitet er heraus, ob oder wie ein Leben als Kratze möglich ist.

In einer anderen Flabel lernen wir einen Werwolf kennen, der sich nichts sehnlicher wünscht, als zum Wiewolf zu werden. Gerade bei dieser Kurzgeschichte hat mir das Ende sehr gut gefallen, weil sich der Wunsch des Werwolfes auf ungewöhnliche Weise erfüllt. Und genauso ist manchmal das Leben: Wir hängen in einer Situation fest, wissen nicht, was daran gut sein soll, doch wenn wir mit einer anderen Perspektive darauf blicken, eröffnet sich doch die ein oder andere Möglichkeit.

Auch die Was-wäre-wenn-Frage, darf in Moers Flabel-Sammlung nicht fehlen. So begegnen wir zwei Blattschneideameisen. Die eine strebt ein geordnetes Leben an, während sich die andere mit der Frage beschäftigt, wer sie ist, oder noch besser, wer sie sein möchte. Die Flabel hinterlässt ein lautes Ausrufezeichen bezüglich der Frage, welcher Weg der Richtige ist und das es nicht immer der Weg sein muss, der von außen betrachtet, der einfache ist.

Die Hörbuchgestaltung

Das Hörbuch wurde ungekürzt sowohl als Hörbuch-Download als auch als CD-Ausgabe im Hörverlag produziert. Die CD befindet sich in einer schicken Digifile Hülle und passt vom Format her sehr gut zu den anderen CD-Ausgaben der Moers Titel. Genau wie die anderen Titel ist auch das Innere der Digifile Hülle schön gestaltet und der Gestaltungsspielraum somit sehr gut ausgefüllt. Gerade in Zeiten in denen Hörbuch-Downloads immer mehr an Relevanz gewinnen, freut es mich sehr, dass der Hörverlag nach wie vor an CD-Ausgaben der Moers-Titel festhält.

Gelesen wird das Hörbuch von Andreas Fröhlich, dessen Interpretation mich hier positiv überrascht hat. Obwohl sich viele Flabeln inhaltlich sehr ähneln, hat er es geschafft, jede Geschichte anders zu interpretieren und ihr eine eigene Note zu geben. Durch seine Betonung hat er die unterschiedlichen Stimmungen der Handlung gut hervorgehoben und somit auch dafür gesorgt, dass ich Ironie von ernsthaft gemeintem Happy-End unterscheiden konnte.

Der Schreibstil

Was ich an Walter Moers Schreibstil sehr schätze sind seine humorvollen Wendungen und auch das lösungsorientierte Denken, das sich auch in der Handlung seiner Romane zeigt. Daher war ich sehr gespannt, wie er sich dem Thema Identität nähert und muss sagen, dass mich der Schreibstil leider etwas enttäuscht zurücklässt.

Oft erlebte ich die Flabeln mit einer Spur Zynismus und schwarzem Humor, wobei ich über Letzteres noch hinwegsehe, weil es einfach Geschmackssache ist. Ich vermisste hier den typischen Moers-Humor und hatte vereinzelt den Eindruck, dass er sich auf der zamonischen Definition der Flabel ausruht.

Gesamteindruck

Womöglich waren meine Erwartungen an Das Einhörnchen, das rückwärts leben wollte zu hoch. Es gab nur wenige Flabeln, die mir gefallen haben und mir das Gefühl geben, dass einige Themen meiner Generation auch gesehen und ernst genommen werden.

Zudem hat mir bei den Flabeln die Leichtigkeit gefehlt. Genau das hab ich mir von Moers nämlich erhofft: Dass sich Moers dem Thema Identität spielerisch nähert und aufzeigt, dass vieles, was kompliziert erscheint, gar nicht so schwierig sein muss, wie gedacht.

Wenn ihr gerne Fabeln lest, kein Problem mit zamonischen Neudefinitionen habt und ihr tief im Herzen einen schwarzen Humor habt, könnte diese Flabel-Sammlung etwas für euch sein. Ich hingegen habe mir etwas mehr erhofft.

Infos zum Hörbuch

Das Einhörnchen, das rückwärts leben wollte
Geschrieben von: Walter Moers
Gelesen von: Andreas Fröhlich
Bewertung: 2 von 5 Herzen

Bei meiner Lieblingsbuchhandlung bestellen.

Hier findet ihr mehr Infos über Walter Moers.

Hier findet ihr mehr Infos über Andreas Fröhlich.

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Dieses Hörbuch wurde mir kostenlos als Rezensionsexemplar vom Hörverlag zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!

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