Eine ganz dumme Idee

Das Hörbuchcover von "Eine ganz dumme Idee"
Bild von der Hörverlag

Der Inhalt

Mir ist bewusst, dass im Titel ableistische Sprache verwendet wird. Darauf werde ich auch in der unten stehenden Rezension eingehen. Dennoch bin ich ein großer Fan von Fredrik Backmans Romanen und der felsenfesten Überzeugung, dass weder er noch die Verlage ein Interesse daran haben, Menschen auszugrenzen, oder zu beleidigen.

Als ich im Verlagsprogramm des Hörverlags den neuen Titel von Fredrik Backman entdeckte, war meine Freude groß. Erstmals konnte ich einen Roman des Autors ungekürzt hören. Warum ich dennoch etwas hin und her gerissen war, was den Inhalt und die Sprache betrifft, verrate ich euch jetzt.

Der Inhalt spricht viele Themen an. Im Mittelpunkt steht eine Gruppe, die bei einer Wohnungsbesichtigung unabsichtlich als Geiseln genommen werden. Wir lernen ihre Lebensgeschichten kennen, beobachten, wie sie miteinander interagieren und nach und nach auftauen. Außerdem geht es um die beiden Polizisten, welche die Geiselnahme auflösen sollen. Jack, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Menschen zu retten. Jim, der seinen Sohn schützen möchte.

Man könnte meinen, dass diese Handlung bereits ausreicht. Aber es geht auch um eine Brücke, die viele Menschen miteinander verbindet. Eine Brücke, die man von der Wohnung aus sehen kann, die gerade besichtigt wird.

Der Roman spielt auf verschiedenen Zeitebenen, was es für mich manchmal etwas kompliziert gemacht hat. Wir befinden uns nämlich nicht nur mit den Geiseln in der Wohnung, sondern schlüpfen auch mit manchen von ihnen in deren Leben oder deren Vergangenheit. Außerdem erleben wir auch, wie es nach dem Ausgang der Geiselnahme weitergeht. Leute werden verhört und Jack versucht fieberhaft herauszufinden, wer für das ganze Drama verantwortlich war.

Gerade die Verhöre fand ich anstrengend, weil die zu verhörenden Personen inhaltlich springen, nicht auf die Fragen antworten, sondern Dinge erzählen, die überhaupt nichts mit den Fragen zu tun haben. Schnell wird klar, dass sie das nicht aus Unachtsamkeit tun, sondern ein bestimmtes Ziel verfolgen. Dennoch wurde es mir manchmal zu chaotisch.

Was mich beeindruckt hat war, wie sich Fredrik Backman zum Kern der Geschichte vorarbeitet. Zu Beginn dachte ich noch, es mit einem Haufen Menschen zu tun zu haben, die nur an sich denken und gar nicht wahrnehmen können, was um sie herum passiert. Doch Stück für Stück entblättert er ihre Geschichten und hat dafür gesorgt, dass ich begann, Sympathie für sie zu empfinden. Dass ich wollte, dass es ihnen gut ging und es ein gutes Ende für sie nimmt.

Die Hörbuchgestaltung

Bei der Hörbuchgestaltung war ich zu Beginn etwas hin und her gerissen. Wenn ihr bereits andere Titel von Fredrik Backman gehört habt, ist euch bestimmt aufgefallen, dass der Autor mit seinem aktuellen Roman umgezogen ist. Das Hörbuch ist nicht als gekürzter Titel im Argon Verlag erschienen, sondern ungekürzt im Hörverlag. Hinzu kommt auch, dass es kein Wiederhören mit Heikko Deutschmann gibt, sondern Steffen Groth mit uns in die Kleinstadt Schwedens reist und uns jede Menge spannender Figuren näher bringt.

Immer, wenn es bei den Titeln von Autor:innen einen Sprecher:innenwechsel gibt, bin ich die erste Stunde damit beschäftigt, mir vorzustellen, wie die alte Besetzung die ein oder andere Stelle wohl interpretiert hätte. Steffen Groth ist eine tolle Besetzung. Er hat es nicht nur geschafft, den ironischen Unterton herauszuarbeiten, der an vielen Stellen sehr präsent ist. Er gibt den Figuren auch eigene Stimmen und arbeitet die Atmosphäre des Hörbuches gekonnt heraus. Das macht sich vor allem dadurch bemerkbar, dass der Wechsel in der Stimmung dadurch gut hervorgehoben wird.

Durch seine Lesegeschwindigkeit treibt er die Dynamik der Handlung gut voran. In den Verhören, die aus Dialogen bestehen, liest er schnell. Wenn wir hingegen die Lebensgeschichte einer Geisel kennenlernen, wird er manchmal auch etwas leise und langsamer.

Der einzige Nachteil: Fredrik Backmans Roman ist leider ausschließlich als Download erschienen. Das heißt, ich kann mir den Titel nicht ins Regal stellen. Insgeheim habe ich die Hoffnung aber nicht aufgegeben, dass es vielleicht irgendwann eine CD zum Hörbuch geben wird.

Der Schreibstil

Fredrik Backman hat mir diesmal mit seinem Schreibstil etwas Kopfzerbrechen bereitet. Seine anderen Titel habe ich bisher begeistert verschlungen. Diesmal bin ich aber an seiner Sprache hängen geblieben. Zu Beginn des Beitrages habe ich euch einen Vortrag zum Thema ableistische Sprache verlinkt. Sehr vereinfacht zusammengefasst: Es geht darum Begriffe wie dumm, Idiot, verrückt zu vermeiden, da sie Menschen mit Behinderungen beleidigen. Die erste Schwierigkeit findet sich hier also schon im Titel. Als ich die Ankündigung zum Roman gelesen habe, war mir das Thema Ableismus noch nicht bekannt. Ich habe den Titel gelesen und geglaubt zu wissen, was damit gemeint ist: Eine Idee, die eine Kettenreaktion in Gang bringt. Also eine Geschichte im Backman-Stil.

Da auch zu Beginn des Romanes Begriffe wie Idiot ziemlich oft auftauchen, frage ich mich, ob es daran liegt, dass sich Fredrik Backman der Problematik nicht bewusst ist, oder ob man in Schweden anders mit Sprache umgeht. Bei deutschen Autor:innen habe ich inzwischen den Anspruch, dass Alternativen für die Begriffe gesucht werden sollen. Meistens gibt es sie nämlich. Der Vorteil: Oft sind sie noch präziser. Bei Autor:innen aus dem Ausland hat der Verlag nur einen begrenzten Spielraum, da es sich um einen übersetzten Titel handelt.

Mit der Geschichte, die Backman im Hörbuch erzählt, zeigt der Autor aber, dass er sensibel ist und es ihm wichtig ist, über schwierige Themen zu schreiben. Was mich beeindruckt hat, war nicht nur, wie er den Kern Handlung herausarbeitet. Auch seine Dialoge haben mich das ein oder andere Mal zum Schmunzeln gebracht.

Gesamteindruck

Ich bin sehr froh, dass ich Fredrik Backmans neuen Roman gehört habe. Die Figuren und die Handlung haben mir sehr gut gefallen. Wenn wir die sprachliche Schwierigkeit ausklammern, erwartet uns hier eine Geschichte, die unbedingt gehört werden soll.

Infos zum Hörbuch

Eine ganz dumme Idee
Geschrieben von: Fredrik Backman
Gelesen von: Steffen Groth
Bewertung: 4 von 5 Herzen

Bei meiner Lieblingsbuchhandlung bestellen.

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Dieses Hörbuch wurde mir als Rezensionsexemplar kostenlos vom Verlag zur Verfügung gestellt.

3 Gedanken zu „Eine ganz dumme Idee“

  1. Hi Emma,

    bis vor kurzem kannte ich den Begriff "Ableismus" auch noch nicht – ich bin da etwas unsicher was ich davon halten soll… solange man etwas nicht abwertend benutzt, muss man das im Zusammenhang sehen, ich denke zumindest so. Wenn ich zu jemand im Scherz sage "Mei, bist du doof", dann ist das lustig und es hat sich bisher noch niemand verletzt gefühlt und es als das genommen, was es ist. Ich will damit ja niemand anderem zu nahe treten.
    Klar könnte man den Titel auch nennen "Keine gute Idee" oder so, aber ich empfinde es mittlerweile wirklich anstrengend, was mit der Sprache passiert.

    Zum Inhalt selber: der humorige Anfang hat mich eine lustige Geschichte erwarten lassen, die dann doch sehr sehr tiefgreifend wurde und mich sehr berührt hat. Die Verhöre allerdings empfand ich beim Lesen auch anstrengend und nicht so gelungen. Dennoch waren die Einblicke in die Charaktere genial miteinander aufgebaut und mich haben die Geschichten sehr bewegt.

    Meine Rezension dazu kommt auch bald 😉

    Liebste Grüße, Aleshanee

    Antworten
  2. Liebe Aleshanee,

    vielen Dank für Deinen Besuch. Es freut mich sehr, dass Dir "Eine ganz dumme Idee" auch so gut gefallen hat. Das Interessante fand ich

    ACHTUNG SPOILER

    Das die Verhöre zum Schluss ja nochmal eine andere Perspektive bekommen, als herauskommt, dass alle Geiseln eine Show abgezogen haben.

    SPOILER ENDE

    Ich bin schon sehr auf Deine Rezension gespannt.

    Deine Gedanken zum Thema Sprache kann ich sehr gut nachvollziehen. Ich stelle mir auch immer wieder die Frage, wo es wirklich um sprachliche Veränderung geht, die wichtig ist z.B. wenn es um das Thema Rassismus geht und wo es auf der anderen Seite nicht einfach eine Überempfindlichkeit ist, die sich aber unbewusst als "Wir müssen tolerant sein"-Gedanke tarnt. Was mir in dem Zusammenhang oft negativ auffällt ist diese "Null Toleranz"-Sache in Verbindung mit Verallgemeinerung. Ich hoffe sehr, dass wir dazu übergehen uns auszutauschen, als uns gegenseitig an den Pranger zu stellen.

    Gerade weil ich in der oben verlinkten Session zum Thema Ableismus zu Gast war, hatte ich das Gefühl mich irgendwie rechtfertigen zu müssen, den Titel trotzdem zu besprechen.

    Ich denke, letztendlich ist es wichtig, dass wir ein Bewusstsein für Sprache entwickeln und uns im Klaren darüber sind, wann wir welche Begriffe einsetzen und auch dazu stehen können, bzw. bereit sind, darüber zu reflektieren. Ich werde niemandem den Kopf abreißen, wenn er in meiner Gegenwart Wörter wie "dumm" und "Idiot" verwendet. Ich für mich versuche gerade in schriftlichen Beiträgen darauf zu achten, ob mir eine Alternative einfällt, die besser beschreibt, was ich meine.

    viele Grüße

    Emma

    Antworten
  3. Ich finde es schon schade, wenn du dir Gedanken machen musst darüber, oder meinst, dich rechtfertigen zu müssen, weil du ein Buch gelesen hast bzw. es rezensierst.
    Für den Titel können wir ja nichts …

    Beim Schreiben achtet man ja eh besser auf die Wortwahl als beim sprechen, zumindest ist das bei mir so 😉 Und man merkt bei mir eigentlich sehr genau, ob ich etwas "böse" meine oder nicht. Das Wort "dumm" in dem Zusammenhang war mir jetzt z. B. überhaupt nicht bewusst. Aber ich denke, da merkt schon jeder, wie es gemeint ist, einfach in dem Zusammenhang, in dem man es sagt oder schreibt.

    Sprache ist definitiv wichtig, aber man sollte schon aufpassen, dass man es nicht übertreibt mit den "Beschneidungen". Wie du schon gesagt hast, oft stehen da Menschen dahinter die meinen, etwas ändern zu müsssen um ihre Toleranz zu beweisen. Und das ist halt einfach nur überflüssig.

    Antworten

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