Dear Evan Hansen

Das Hörbuchcover von "Dear Evan Hansen"
Bild von der Hörverlag

Der Inhalt

Der Anfang von Dear Evan Hansen ist wirklich stark. Wir lernen Marc Evan Hansen kennen, der von allen eigentlich nur Evan genannt wird. Er verbringt viel Zeit alleine in seinem Zimmer und uns wird schnell klar, dass ihn zwischenmenschliche Kommunikation überfordert, oder ihm Angst macht.

Das beginnt beispielsweise bei einer harmlosen Bestellung beim Lieferservice und endet beim Smalltalk in der Schule mit Mitschüler*innen, die er im Grunde schon sein ganzes Leben lang kennt.

Seine Mutter ist alleinerziehend und muss viel arbeiten. Sie hat daher eine Therapie für Evan organisiert. Dort soll er Briefe an sich selbst schreiben. Eines Tages lässt er seinen Gefühlen endlich freien Lauf. Doch dann gerät dieser Brief in die Hände eines Jungen, der Suizid begeht. Und alle glauben, es handelt sich um seinen Abschiedsbrief. Anstatt das Missverständnis aufzukären, gerät Evan in einen Strudel aus Lügen und Halbwahrheiten.

Was mir in der Handlung wirklich fehlte, war der rote Faden der Geschichte. Durch die unglücklichen Verkettungen, die das Missverständnis um den Brief mit sich bringen, kommen zwar viele Themen in Gang, werden aber nicht ausreichend behandelt, sondern meist durch ein neues Thema abgelöst. Mir fehlten hier aber die zentralen Themen: Die Themen auf die man immer wieder zurückkommt und die auch in der Geschichte aufgelöst und nicht einfach fallen gelassen werden. Da Evan immer neue Notlügen erfinden muss, wurden auch plötzlich Dinge thematisiert, die ich zu Beginn der Geschichte überhaupt nicht als Problem empfunden habe.

Evan verbringt viel Zeit alleine, was ihm am Anfang der Geschichte scheinbar auch nicht viel ausmacht. Doch eines Tages gerät er genau deswegen mit seiner Mutter aneinander. Mir fehlte hier – und auch in anderen Situationen – ein klarer Übergang, in dem deutlich wird, dass sich die Situation zuspitzt oder doch nicht so war, wie man am Anfang hätte vermuten können.Dear Evan Hansen bringt zwei Perspektiven mit:

Den Großteil der Geschichte erleben wir aus Evans Sicht. Wir lernen seine Gefühle und Gedanken kennen und können deutlich spüren, wie ihn die Kommunikation mit anderen Menschen verunsichert. Seine Handlungen werden in der Geschichte gut begründet und waren für mich größtenteils auch nachvollziehbar. Mich verwirrte nur diese Vielfalt an Themen.

In der zweiten Perspektive lernen wir Connor kennen: Wir erfahren seine Geschichte und finden heraus, warum er Suizid begangen hat. Diese Perspektive war mir allerdings zu ungenau herausgearbeitet. Einerseits war es gut, dass wir durch Connor erfahren konnten, wie sein Leben wirklich verlief. Andererseits erkannte ich nicht, wie diese Perspektive die Geschichte voran gebracht hat. Es war zwar spannend, etwas über Connors Leben zu erfahren, aber für mich hing dieser Handlungsstrang etwas lose herum.

Was die zentralen Themen des Romans betreffen, gibt es einige Möglichkeiten: Eine davon könnte beispielsweise die Einsamkeit sein. Durch Evans (Not)Lüge bekommt er viel positive Aufmerksamkeit, was ihn nicht sonderlich zu stören scheint. Wir können also vermuten, dass Evan die Rolle des Einzelgängers nicht wirklich gefallen hat. Connor war ebenfalls einsam. Er war von Menschen umgeben, die ihn, bis auf eine Person, aber nicht wirklich verstehen konnten. Obwohl Evan und Connor nichts miteinander zu tun hatten, ist die Einsamkeit etwas, das beide miteinander verbindet. Allerdings kann aufgrund der Handlung der Geschichte diese Parallele nur schwer herausgearbeitet werden.

Was mich etwas irritierte war, dass Connors Suizid überhaupt nicht in der Geschichte thematisiert wurde. Natürlich bleibt seine Familie ratlos zurück. Aber im Mittelpunkt der Geschichte steht die angebliche Freundschaft zwischen Evan und Connor. Allerdings gibt es auch hier nur wenig Möglichkeiten den Suizid zu thematisieren, weil die Handlung der Geschichte auf andere Themen ausgelegt ist.

Die Hörbuchgestaltung

Was mich an Dear Evan Hansen aber beeindruckte war eindeutig die Hörbuchgestaltung. Erst einmal war ich froh, dass die Geschichte ungekürzt produziert wurde. Da die Geschichte im Original ja ein Musical ist, war ich gespannt, ob man das in der Hörbuchgestaltung bemerkte. Es handelt sich hier aber um eine klassische Lesung, was mir sehr gut gefallen hat.
Da wir zwei Perspektiven haben, lernen wir hier auch zwei Hörbuchsprecher kennen.

Julian Greis schlüpft in die Rolle von Evan und liest den Großteil der Geschichte. Aufgrund seiner hellen Stimmfarbe klingt er unglaublich jung und ich habe ihm die Rolle des Teenagers wirklich abgenommen. Inzwischen habe ich schon ein paar Titel gehört, die von dem Hörbuchsprecher gelesen wurden und ich muss sagen, dass mich seine Interpretation von Evan wirklich beeindruckt hat, weil Evans Unsicherheit und Orientierungslosigkeit für mich wirklich greifbar wurden. Obwohl ich die Handlung teilweise nicht nachvollziehen konnte, hat es Julian Greis geschafft, mir Evan als Charakter näher zu bringen.

Pascal Houdus schlüpft in die Rolle von Connor. Er klingt ebenfalls jung. Man hört ihm die Zerbrechlichkeit und die Einsamkeit, die ihn umgeben, deutlich an.

Mir hat die Kombination aus den beiden Sprechern auch sehr gut gefallen, weil sie stimmlich gut miteinander harmonieren. Julian Greis hat eine hellere Stimmfarbe, während Pascal Houdus etwas tiefer, aber dennoch jung genug klingt, um in die Rolle eines Jugendlichen schlüpfen zu können.

Der Schreibstil

Der Schreibstil von Dear Evan Hansen hat mir sehr gut gefallen. Beide Handlungsstränge werden aus der Ich-Perspektive erzählt und haben somit dafür gesorgt, dass ich der Geschichte gut folgen konnte, bzw. Evans Reaktionen auf bestimmte Situationen nachvollziehen konnte.  Was ich besonders mochte, waren die Dialoge zwischen Evan und den anderen Charakteren, oder die Briefe, die Evan an sich selbst geschrieben hat.

Was ich diesmal spannend finde ist, dass mir der Schreibstil der Geschichte wirklich gut gefallen hat, obwohl ich mit der Handlung nicht immer mitgehen konnte. Wenn mir eine Geschichte nicht gut gefällt, habe ich häufig die Erfahrung gemacht, dass sich das auch auf den Schreibstil auswirkt.

Gesamteindruck

Dear Evan Hansen ist eine Geschichte, die interessante Themen und Fragen anspricht. Allerdings wurde sich aus meiner Sicht zu wenig mit den Themen auseinandergesetzt. Dennoch lernen wir hier zwei spannende Charaktere kennen und haben eine unglaublich gute Hörbuchproduktion. Diese zwei Gründe sorgen dafür, dass ich das Hörbuch generell weiterempfehlen kann.

Lieblingszitate:

„Was ist denn so verkehrt am verstecken? Da ist es wenigstens sicher.“
(„Dear Evan Hansen“ von Val Emmich et. al. Track 11).

„Übersehen werden. Das ist meine gewohnte Existenzform.“
(„Dear Evan Hansen“ von Val Emmich et al. Track 85).

Infos zum Hörbuch

Dear Evan Hansen
Geschrieben von: Val Emmich, Steven Levenson, Benj Pasek, Justin Paul
Gelesen von: Julian Greis und Pascal Houdus
Bewertung: 3 von 5 Herzen

Bei meiner Lieblingsbuchhandlung bestellen.

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Dieses Hörbuch wurde mir als kostenloses Rezensionsexemplar vom Verlag zur Verfügung gestellt.

2 Gedanken zu „Dear Evan Hansen“

  1. Hallo Emma,
    eine schöne Rezension, die ich mehrmals gelesen habe. Die Vielfalt der Themen ist verwirrend, aber vielleicht ist das eine Allegorie auf das Leben und dass wir uns nur einbilden, wenn wir meinen, unser Leben selbst hätte ein Motiv.
    Geschichten, in denen jemand Selbstmord begeht, lassen mich immer etwas verstört zurück. Nie scheint es genügend Raum dafür zu geben, nie genügend Erklärungen.

    Ich hab auch festgestellt, dass die Sprechfarbe und die Ausdrucksweise eine wichtige Rolle spielt beim Rezensieren von Hörbüchern. Mir fehlen noch so ein wenig die Wörter, um Sprache angemessen zu beschreiben.

    Falls du dazu mal einen Blogbeitrag schreiben wollen würdest, fände ich das toll 🙂

    Übrigens hat mich die "Anzeige" irritiert. Du hast doch keine Anzeige geschrieben, sondern eine durchaus kritische Rezension. Wegen dem Rezi-Exemplar? Lass dich davon nicht verrückt machen.

    LG
    Daniela

    Antworten
  2. Guten Morgen Daniela,

    bitte entschuldige meine späte Antwort. Ich muss mir dringend angewöhnen, regelmäßig in das "Kommentare freischalten"-Feld zu schauen.

    Es freut mich sehr, dass Dir meine Rezension gut gefallen hat. Ich war mir wirklich etwas unsicher, ob ich es schaffe, das Chaos in meinem Kopf zu sortieren. Die Geschichte an sich ist ja nicht "schlecht" und ich habe mir schon überlegt, ob ich sie einfach zur falschen Zeit gehört habe.
    Was Du zu den Themen schreibst, stimmt. Das habe ich mir auch schon überlegt. Vor allem, weil es im Leben ja wirklich so ist, dass ein Thema das nächste jagt.

    Ja, das Thema Suizid ist unglaublich schwierig, weil es ja nicht "den" Grund gibt, warum jemand Suizid begangen hat. Ein sehr spannendes Buch zu dem Thema finde ich ist "Allein unter Schildkröten" von Marit Kahldol. Da geht es um einen Jungen, der sich in einer Krise befindet. Im ersten Teil des Buches gibt es Tagebucheinträge des Jungen. Im zweiten Teil erfahren wir, wie Angehörige über den Jungen denken.
    Ansonsten habe ich bisher "nur" Geschichten über Protagonisten in Krisen, oder Charaktere mit einer psychischen Erkrankung gelesen, was natürlich auch sehr interessant ist. Aber Titel in denen es um Suizid ging, sind mir tatsächlich noch nicht so oft begegnet.

    Hehe, das Beschreiben der Hörbuchsprecher*innen fällt mir tatsächlich immer noch schwer, weil ich das Gefühl habe, dass ich mich hier sehr oft wiederhole. Ich empfehle Dir – falls Du das zeitlich einrichten kannst – die Radiosendung "Hörbuchzeit" zu hören. Die läuft immer Samstags um 12:05 Uhr auf hr2. (Den Sender kann man entweder über die Website hören oder z.B. über die App radio.de, wenn Du es lieber übers Smartphone hören willst). Da werden jeden Samstag Hörbücher empfohlen. Leider sind häufig Titel dabei, die mich nicht so interessieren. Aber die Leute, die die Hörbücher empfehlen, gehen immer auf die Sprecher*innen ein. Ich werde mir aber mal ein paar Gedanken zu dem Thema machen und vielleicht kommt ja doch genügend Material für einen Blogartikel zusammen.

    Ja, das mit der [Anzeige] nervt mich tierisch, weil das tatsächlich wie ein Werbebanner klingt. Anfang des Jahres waren viele Blogger*innen ja unsicher, wie sie Beiträge kennzeichnen müssen, in denen sie Produkte besprechen, die "gesponsort" wurden. Ich habe einen Leitfaden der öffentlich rechtlichen Medienanstalten gefunden, die aufgelistet haben, wann man welchen Beitrag wie kennzeichnen muss.
    Und da habe ich herausgelesen, dass man Beiträge in denen das gesponsorte Produkt (in unserem Fall Reziexemplare) die Hauptrolle spielt, als Werbung oder Anzeige kennzeichnen muss und das dann in den Titel gehört.
    Beiträge in denen die Produkte nur am Rande behandelt werden (wie z.B. bei Monatsrückblicken), können als "Produktplatzierung" gekennzeichnet werden, wobei es hier reicht, wenn das Wort zu Beginn des Beitrages steht. Ziel ist es, Kooperationen für die Follower*innen transparenter zu machen. Allerdings habe ich auch gehört, dass rechtlich noch nicht klar geregelt ist, worum es sich beim Rezensionsexemplar handelt. (Wir bekommen ja den Titel umsonst, müssen ihn zwar rezensieren, aber werden z.B. für die Rezension ja "nur" mit dem Titel aber nicht mit einer sonstigen Vergügung bezahlt).

    Wenn Du "öffentlich rechtlichen medienanstalten leitfaden" googelst, ist der zweite Suchbegriff das PDF – zumindest bei mir :-). (Ich weiß leider nicht, wie ich das hier einbinde). Allerdings wollte ich mich nochmal schlau machen und vielleicht nach einer anderen Möglichkeit suchen, die Beiträge zu kennzeichnen.

    viele Grüße

    Emma

    Antworten

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