8. Türchen – Der Förster

Ein Kranz in dessen Mitte eine 8 steht.Er hasste Winter, Waldspaziergänge und vor allem Weihnachten.
»Und warum bist du dann Förster geworden, wenn du gar nicht gerne draußen bist?«, wird er spätestens an dieser Stelle gefragt.
»Weil das halt so ist. Nicht die Natur nervt, sondern die Menschen, die sie für ihre Zwecke missbrauchen.«
Diese Weisheit ließ er los, wenn es um intellektuelles Gehabe ging. Sonst fragte niemand genauer nach, warum es sich hier um einen Widerspruch handelte. Verhasste Waldspaziergänge und der Beruf des Försters. Das konnte ja nur ein Widerspruch sein. Immer diese Menschen, die genau hinhörten und alles hinterfragen wollten. Mussten sie ihm das Leben denn so schwer machen? Konnten sie nicht einfach leben?

Dieser verdammte Hund hatte eben nochmal rausgemusst. Und wer hatte es ihm erlaubt?
Warum kann ich nicht einmal standhaft bleiben?, überlegte er verzweifelt. Katzen hatten ein Katzenklo. Da wurde es höchste Zeit, dass auch der Hund im eigenen Heim eine Notdurft bekam. Das ersparte viele Probleme. Vor allem im Winter. Kaum hatten sie die Hütte verlassen, war der Hund auf und davon. Zuerst glaubte er, es ginge nur um ein kurzes, schnelles Geschäft. Doch als das Tier nicht wieder aufgetaucht war, bestätigte sich seine Befürchtung.
Der Hund wollte Nachtisch. Und zwar einen feinen, fleischigen.

»Hör auf mit deinen Geschichten, du machst den Kindern noch Angst!«, rügte ihn seine Schwester. Wenn sie mit den Kindern an Weihnachten zu Besuch kam und er dann von den Jagderlebnissen seines Hundes erzählte, ging es in seinen Berichterstattungen schon ganz schön zur Sache.
Genau das war auch sein Ziel gewesen. Er mochte es nicht, irgendwelche Geschichten zu erzählen. Und deswegen blieb er eben bei der unverblümten Wahrheit. Dass diese nicht unbedingt für Kinderohren geeignet war, interessierte ihn dabei nicht groß.

»Irgendwann müssen sie raus in das Leben. Und spätestens dann werden sie erkennen, dass es eben kein Traumschloss ist«, knurrte er verbissen.
»Mach doch, was du willst. Das konntest du schon immer gut«, seufzte sie dann und machte sich wieder an die Arbeit.
Zum Glück stand der alljährliche Besuch immer am ersten Weihnachtsfeiertag an und so konnte er die Ruhe vor dem Sturm genießen. Wenn er nicht gerade damit beschäftigt war, den entlaufenen, jagenden Hund wieder einzufangen.

Ich werde ganz bestimmt nicht um diesen verdammten See laufen, dachte er sich. Als er an seiner Lieblingsstelle angekommen war, stutzte er. Was war denn hier los?

Ein paar Gestalten tummelten sich am See.
»JA SEID IHR DENN VERRÜCKT GEWORDEN?«, brüllte er außer sich und rannte zu der Gruppe.
Eine Frau versank gerade zur Hälfte im Wasser. Ein Junge versuchte sie daran zu hindern, vollends hineinzufallen. Und ein kleines Mädchen drückte einen Bären an sich und blickte ja wie blickte sie denn drein?

So genau konnte er das nicht sagen. Immerhin war es nicht besonders hell und er verstand sich auch nicht darin, Blicke von irgendwelchen Menschen zu deuten.
Sonst wäre er ja Therapeut und kein Förster geworden, oder? Obwohl er es nicht mochte, im Mittelpunkt irgendeiner Gruppe zu stehen, überlegte er nicht lang.
Er rannte zu dem Jungen und mit vereinten Kräften zogen sie die Frau heraus, die schon zur Hälfte baden gegangen war. Hustend und zitternd stand sie nun vor ihnen. Alle blickten unsicher drein.
»Ist es nicht noch etwas zu kalt zum Baden?«, fragte das Mädchen vorsichtig.
Alle nickten zustimmend.

»Was sollte das denn?«, fragte der Junge. Seine Stimme zitterte. Aber er brüllte nicht. Endlich mal jemand, der offenbar eine gute Erziehung genossen hatte, dachte der Förster anerkennend. Was man von ihm ja nicht gerade behaupten konnte. Schließlich war er laut brüllend zu der Gruppe hinzugestoßen.
»Ich weiß auch nicht«, murmelte die Frau.
Da näherten sich Schritte.
Mehrere Schritte.
Schnelle Schritte.

»Ist irgendetwas passiert?«
Eine Frau und ein Herr, der mit einer erstaunlich dicken Winterjacke und einer Schürze bekleidet war, kamen vor ihnen zum Stehen. An dieser Stelle hätte sich der Förster verabschieden können. Es waren genug Menschen da, die die Situation unter Kontrolle hatten. Oder zumindest dabei unterstützen konnten, Herr oder Frau der Lage zu werden. Oder so ähnlich. Da konnte er sich doch wieder seinem Hund widmen, oder?
»Sie sind ja völlig durchnässt«, stellte die junge Frau schnell fest.
Gar nicht mal so dumm.

Gut kombiniert. Darauf wäre ich absolut nicht gekommen, dachte der Förster und rollte mit den Augen.
»Wir brauchen irgendetwas, damit Sie warm bleiben. Sonst holen Sie sich noch eine Erkältung und das an Weihnachten», meinte der Mann besorgt. «Also, ich muss dann mal wieder.«
Er wusste auch nicht so genau, warum er zu einer Verabschiedung ansetzte. Schließlich beachtete ihn im Moment überhaupt niemand.
Doch es wäre ihm auch unhöflich vorgekommen, einfach so zu verschwinden. Es waren doch so viele Menschen anwesend. Und er hatte immerhin auch Manieren.

»Kommen Sie von hier?«, fragte die Frau.
»Nun ja, ich wohne etwa zehn Minuten entfernt. Ich könnte schnell nach Hause laufen und eine Decke holen.«
Was war denn heute los mit ihm? Er wollte seinen Hund einsammeln und dann wieder in seine eigenen vier Wände verschwinden. Bevor morgen der Wirbelsturm ins Haus blies.

»Das wäre eine sehr gute Idee. Und bis dahin kommt ihr alle mit zu mir nach oben. Ich nehme an, auf den Schrecken könnten wir erst einmal eine Currywurst vertragen«, erklärte der Mann. Er deutete in die Richtung aus der die beiden gekommen waren. Und da erkannte der Förster, dass dort ein Wagen stand. Ein Imbisswagen.

»Ich beeile mich. Ich muss aber noch meinen Hund abholen«, murmelte er kleinlaut.
»Wo ist denn Ihr Hund?«, fragte das Mädchen mit dem Bären in der Hand.
»Er ist auf der Jagd. Er hat Hunger«, antwortete der Förster.
»Haben Sie ihm denn nichts zu essen gegeben?«, fragte das Mädchen weiter. Neugieriges Ding, dachte er. Aber es steckte etwas Unschuldiges darin. Einen Tonfall, den er schon lange nicht mehr gehört hatte.
»Doch, doch. Aber er möchte Nachtisch.«

»Dann helfen wir Ihnen beim Suchen, oder SauBär?«
Sie blickte den Bären in ihrer Hand an.
»Ich denke nicht, dass es so eine gute Idee…«, wollte der Junge gerade ansetzen.

»Kommt ihr?«, fragte das Mädchen und marschierte zielsicher los. Der Förster und der protestierende Junge hatten keine Wahl. Sie mussten
ihr folgen.

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5 Gedanken zu „8. Türchen – Der Förster“

  1. …bisse als Förster richtig down
    Brauchse wat zu kaun
    Ne Currywurst.
    Auch der Försterhund
    wat hat er da im Mund?
    Ach so, ne Currywurst!

    Ich sagte ja, das wird Kult im Wald! Hätte fast das Finale sein können! Gut in Szene gesetzt! Wie wird das alles nur enden? Mit ner Currywurst?

    Die Grafikerin

    Antworten
  2. Frögten Sie mich an einem Montag, würde ich sagen JA!

    Das Schlimme ist, wir bräuchten so ein kleines Insider Lexikon für unsere Leser, damit auch alle verstehen, von was wir da schreiben.
    Aber ich sag schon mal eins: Die Kommentare sind eine Geschichte für sich 🙂

    Antworten

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