5. Türchen – Der Taxifahrer

Ein Kranz in dessen Mitte eine 5 steht.

»Du bist verrückt! Du kannst doch nicht an Weihnachten in deinem Taxi sitzen und durch die verdammte Gegend fahren!«
Oh, doch das konnte er. Schließlich feierte er kein Weihnachten. Also keine Kinder, die den ganzen Abend auf ihn warteten, keine Schwiegereltern, die ihm strafende Blicke zuwarfen, wenn er doch endlich zu Hause aufkreuzte. Alles Probleme, die er nicht hatte. Und das war auch gut so.

Nun kurvte er am Weihnachtsabend durch eine verlassene, ruhige Gegend. Eigentlich hatte er damit gerechnet, irgendwelche Partylöwen von Club zu Club fahren zu dürfen. Doch die Singles, die Weihnachten trotzten, hatten wohl ein anderes Taxiunternehmen beauftragt. Und so hatte er die Fahrgäste des heutigen Abends an einer Hand abzählen können. Angefangen bei einer älteren Dame, die gerade aus dem Urlaub gekommen war und Weihnachten gerne in den eigenen vier Wänden verbrachte, bis hin zu einer stummen Frau, die unbedingt in dieser verlassenen Gegend abgesetzt werden wollte.

Wäre es ein anderer Stadtteil gewesen, hätte er den Wunsch der Frau boykottiert. Doch heute am Weihnachtsabend würde mit Sicherheit kein Verbrechen passieren. Nicht in dieser Gegend. Außerdem wusste die Frau sicher, was sie tat, als sie ihn bat, sie an dem Waldparkplatz herauszulassen.

Nachdem sie die Rechnung bezahlt und sich verabschiedet hatte, legte er eine kleine Pause ein. Erst einmal musste er sich neu sortieren. Sein Auto war das einzige Fahrzeug, welches den Parkplatz schmückte. Die Frau war bereits gegangen. Ihre Schritte hatten sich eilig entfernt, gefolgt von seinem unsicheren Blick, ob er wirklich das Richtige tat.

»Sie müssen nicht auf mich warten. Es wird sich nicht lohnen«, hatte sie entgegnet, bevor sie die Tür öffnete.
»Aber wie kommen Sie dann nach Hause?«, fragte er verwundert.
»Da findet sich sicher ein Weg. Vielleicht werde ich ja abgeholt, wer weiß.«
Bei dieser Vermutung hatte sich ein Lächeln auf ihr Gesicht geschlichen. Obwohl das Licht das Innere des Taxis nur spärlich beleuchtete, glaubte er es gesehen zu haben. Und er hatte ein Gespür für magische Momente. Auch wenn ihm das niemand so recht glaubte.

Die Frau hatte bezahlt, sich für die Fahrt bedankt und war gegangen.
Er atmete tief durch.
»Okay, Junge. Wenn du heute noch was einnehmen willst, solltest du langsam zurückfahren.«
Seine Freunde machten sich schon über ihn lustig, weil es häufiger vorkam, dass er halblaute Selbstgespräche führte.
Das Display des Navigationsgerätes hatte sich in den Stand-by Modus geschaltet. Als er auf das Gerät drückte, wurde der Bildschirm kurz hell, nur um sich dann gleich wieder zu verabschieden. Das brachte ihn noch nicht aus der Fassung. Seine Kollegen hatten schon häufig über die billigen Geräte der Firma gelästert.
»Nie macht es, was ich will«, hatten sie gejammert.
Er glaubte, es sei bisher eine glückliche Fügung des Schicksals gewesen, dass ihm die Technik hold geblieben war.

Als er noch mal auf das Gerät tippte, wurde der Bildschirm in ein blaues Licht getaucht: No signal, please call a little bit later.
Was sollte denn der Spruch? Hatte ihm einer seiner Kollegen einen Streich gespielt? Er erinnerte sich dunkel daran, dass irgendein Informatik Student unter ihnen war.
Sofort drückte er mehrfach auf den Bildschirm. Nichts tat sich. Zum Teufel mit dem Touchscreen!, sagte er sich diesmal sogar in Gedanken. Auch als er die Knöpfe ausprobierte, tat sich nichts.

Er zückte sein Handy. Da musste ein Anruf bei der Zentrale her. Beschämt stellte er fest, dass er ohne das Navigationsgerät den Weg nicht zurück in das Stadtzentrum finden würde. Seine Freunde hatten ihn für verrückt erklärt, als er von der Großstadt träumte.
»Du hast einen Orientierungssinn wie ein Blinder mit dem Langstock. Das kann nicht gut gehen.«
»Hey, die müssen doch auch irgendwie überleben, oder? Also werde ich das schon schaffen. Immerhin habe ich zwei Augen und ein Auto«, entgegnete er stolz.
Und dann das höhnische Lachen der älteren Kollegen.
»Tja, und was machst du, wenn die Technik ausfällt, he? Orientierung muss man haben. Nicht nur auf der Straße, sondern im Leben. Und das lernt man nicht innerhalb von vier Wochen und einer App.«

Und genauso lange arbeitete er in diesem verdammten Taxiunternehmen. Dabei wollte er ja eigentlich studieren.
Was tun?, fragte er sich.
Bei der Zentrale anrufen? Nur um sich das Gelächter der Kollegen anzuhören? Wahrscheinlich würden sie ihn quer durch die Stadt jagen. Sie brauchten an Weihnachten ja auch etwas Unterhaltung. Und er wollte sie ihnen ganz bestimmt nicht bieten.
Es blieb nur eine Möglichkeit: Er musste die Frau wiederfinden. Und je länger er wartete, desto weiter hatte sie sich von dem Auto entfernt.

Es war totenstill, als er den Weg entlang lief. Ängstlich stellte er fest, dass er nicht einmal ihren Namen kannte. Er wusste also nicht, ob oder was er überhaupt rufen sollte.
»Hallo?«, fragte er leise in die Stille hinein.
Nichts tat sich.
Sein Rufen wurde lauter.
Der Weg war nur spärlich von Straßenlaternen beleuchtet. Er war überrascht, dass diese Gegend überhaupt mit Laternen ausgestattet war. Aber wenn es hier sogar einen Parkplatz gab, musste die Gegend wohl bekannt sein.
Wo war sie nur hin? So weit konnte sie doch nicht gekommen sein.
Da hörte er ein Knacken. Er fuhr zusammen und blickte in die Richtung aus der das Geräusch gekommen war.

»He, Kumpel was machst du denn hier?«
Ein Junge, kaum älter als sechzehn Jahre war vor ihm aufgetaucht.
»Das Gleiche könnte ich dich fragen«, gab er mutig zurück.
Der Junge wirkte dünn und alles andere als kräftig.
Den bekomme ich im Notfall auch alleine überwältigt, dachte er sich.
»Hast du eine…«
»HE, WAS MACHEN SIE DA?«

Beide Männer fuhren zusammen. Sie wussten, dass der Ruf nicht ihnen gegolten hatte.
»Das kommt von da unten«, erklärte der Junge und zeigte in Richtung des Sees.
Er wollte gerade los rennen, wurde aber von dem Taxifahrer zurückgehalten. »Moment mal! Wir haben keine Ahnung, was uns da unten erwartet«, überlegte er unsicher.
»Wenn wir hier warten und nichts tun, werden wir es auch nicht herausfinden«, meinte der Junge genervt, machte aber keine Anstalten mehr, davonrennen zu wollen. Er verharrte auf der Stelle. So als würde ihn etwas blockieren.
Der Taxifahrer blickte in Richtung des Sees. Er lag noch gute fünf Minuten entfernt. Was sollte er tun? Konnte er überhaupt helfen?

»Was ist, wenn sie Hilfe brauchen?«, fragte der Junge nach einer gefühlten Ewigkeit.
»Was soll denn schon passiert sein? Es ist Weihnachten. Da will niemand etwas Böses«, sprach sich der Taxifahrer Mut zu.
»Hast du den Ruf nicht gehört? Das klang schon … na ja ich weiß nicht … ängstlich?«, meinte der Junge.
Was war so falsch daran, unten nach dem Rechten zu sehen? Sie waren immerhin zu zweit. Und er hatte ein Auto.
»Ist mir egal, was du machst. Ich schau mir jetzt mal an, was da unten los ist.«
Der Junge hatte sich bei seinen Worten beinahe verhaspelt. So als wolle er sich noch einmal Mut zusprechen, bevor er sich ins Abenteuer stürzte. Und der Taxifahrer? Er blieb kurz stehen und wartete. Aber worauf denn? Auf die Sicherheit? Die Orientierung? Der Gedanke, der ihm schon sagte, wie die Situation zu meistern war?
»Ich habe keine Lust mehr zu warten«, murmelte er und rannte dem Jungen nach.

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14 Gedanken zu „5. Türchen – Der Taxifahrer“

  1. Liebe Anja,
    es freut mich sehr, dass dir die Kurzgeschichten gefallen und du in der Weihnachtszeit ein paar Minuten Zeit für den Kalender findest. Das nächste Türchen ist auch schon vorbereitet. Ich freu mich schon sehr darauf, wenn es online geht.

    viele Grüße

    Emma

    Antworten
  2. Wieder konnte ich Deinen Figuren folgen, wieder lässt Du mich, diesmal im Wald, stehen. Und ich bin sooooooooo neugierig!!!

    Die Grafikerin

    PS: An alle Leser!
    Kommentare machen Autoren glücklich!

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    Schönen Sonntag – Matthias, Team BiBesch, @MeinAugenlicht

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  4. Liebe Emma,

    vielen Dank für deine Mühe, dass du uns die Vorweihnachtszeit versüßt mit deinen tollen Texten.
    Ich freue mich schon auf das nächste Türchen!

    Liebe Grüße aus Hamburg

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  5. Ich lösche alles, was stört.
    Nur du störst nicht 🙂
    Und das ist ja auch irgendwie ein ziemliches Geraffel mit den ganzen Anforderungen. Als ob meine Kommentatoren Roboter wären. Das wär ja noch schöner… 🙂

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  6. Was ist denn hier in den Kommentaren los o.O

    Also zu dem Kapitel – das ist so typisch Ayasha. (Das hab ich schon bei bestimmten Formulierungen und Handlungen gedacht)
    Ich kann den Gedanken dieser Figuren nicht so richtig folgen, was ist los mit denen? Und auch ihren Handlungen und Entscheidungen nicht.
    Aber vllt liegt das auch daran, dass ich mich mit keinem identifizieren kann und mir bei jedem so "ARG!" denke.

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  7. Ja, die Kommentare bilden fast schon eine Geschichte in sich 🙂
    Vielleicht liegt es auch an einer negativen Einstellung?
    Warum kannst du denn die Handlungen und Entscheidungen nicht nachvollziehen? Was bräuchte es für dich, damit es schlüssiger wäre?

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  8. Ich muss emion wieder zustimmen. Das Kapitel hat mcih acuh verwirrt.

    Was ist das für ein Taxi-Fahrer mit NULL Orientierung? DU weißt schon, dass die eine Prüfung ablegen müssen, dass sie sich in ihrer Stadt und Umgebung auskennen, ne? Da dürfen die kein Navi haben. Und der Typ findet nicht mal den Weg ZURÜCK und will seine Passagierin finden. Ist dem das nicht peinlich?
    WEG MIT DEM SCHEIN!

    Und was haben die am Schluss für ein Problem? Schiss oder was? Oh man …

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  9. Ich hatte bzw. habe zwei Taxisfahrer in der Verwandtschaft. Und sie haben noch von DDR Zeiten vorgeschwärmt, in denen Orientierung in dem Job noch sehr viel wert war. Nun wurde die Orientierung durch Navis und mehr oder weniger gute Taxifahrer ersetzt.

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